DER RECHTE RAND Nr. 68 vom
Januar / Februar 2001
NS-Zwangsarbeit
Zahlungsverweigerung gegenüber den NS-Opfern
dauert an
Von Rolf Surmann
"Großkreuz für Lambsdorff" - so ging es Anfang
Dezember durch die Presse. Den höchsten Orden, der in Deutschland
vergeben wird, erhielt der FDP-Politiker für die ihm zugesprochenen
Verdienste bei den Verhandlungen über materielle Leistungen für
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Für die gibt es allerdings nach
wie vor keinen Grund zum Feiern.
Anfang 1999, als die deutsche Wirtschaft sich zu
Verhandlungen gezwungen sah, stellte sie für den Herbst des selben
Jahres den Beginn von Zahlungen in Aussicht. Seitdem gab es des Öfteren
Berichte, die das Thema für erledigt erklärten. Zuletzt wurde im
November mit Wohlwollen registriert, dass alle Sammelklagen von
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in den USA zurückgezogen worden
waren. Sie haben also dort keine Rechtsmittel mehr in der Hand. In
Deutschland wies kurz darauf ein Gericht die Klage eines Zwangsarbeiters
mit der Begründung ab, hierfür sei der in Aussicht gestellte Fonds
zuständig. Das zeugt von Vertrauen in Politik und Wirtschaft. Denn
dieser Fonds ist bis jetzt weder zu Zahlungen in der Lage noch sind die
Voraussetzungen für die Einhaltung des Verhandlungsergebnisses
geschaffen.
Schwierigkeiten gibt es etliche. Eine ganz simple ist
der Umstand, dass die deutsche Wirtschaft zu dem von ihr zugestandenen
Betrag von fünf Milliarden Mark - die Hälfte hiervon erhält sie über die
Steuererstattung wieder zurück - bisher lediglich 3,3 Milliarden Mark
aufgebracht und bis heute keine Antwort darauf gefunden hat, wie der
restliche Betrag zusammen kommen soll. Als einzige Lösungsmöglichkeit
fiel dem Sprecher der Stiftungsinitiative, Gibowski, dazu ein, dass
Betriebe in Staatsbesitz wie Post oder Bundesbahn in den
Wirtschaftsfonds einzahlen sollen. Eine solche Regelung würde jedoch
gegen das gerade vom Bundestag verabschiedete Begleitgesetz zur Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" verstoßen, in dem der Beitrag
dieser Unternehmen dem Staatsanteil von fünf Milliarden Mark zugerechnet
wird. Allein der Versuch, die gerade ausgehandelten Vereinbarungen
postwendend in Frage zu stellen, zeugt nicht gerade von Vertragstreue
und Verlässlichkeit.
Es überrascht deshalb nicht, dass es im politischen
Spektrum der USA Vorbehalte gibt, den Rechtsweg für die NS-Verfolgten zu
blockieren und den Fonds als ausreichend zu betrachten. So ist
umstritten, ob sich die Versicherungen an dieser ursprünglich ja vor
allem für die Opfer von NS-Zwangsarbeit gedachte Einrichtung beteiligen
können. Denn mit solchen Ausweitungen wurde lediglich der Kreis der
Einzahlenden vergrößert, während immer mehr NS-Verfolgte dieselbe
Geldsumme unter sich aufteilen müssen. Die Versicherungen haben sich
obendrein mit diesem Schritt der internationalen Eagleburger-Kommission,
die extra für Versicherungsfragen eingerichtet worden ist, entzogen.
Auch die zuständige US-Richterin ist von der Tragfähigkeit des
Stiftungsfonds nicht überzeugt. Sie gab deshalb ein Gutachten zur
Klärung der Frage in Auftrag, ob die Mittel für den Abgleich von
Vermögensschäden ausreichen. Dem Ergebnis - es soll in der zweiten
Januarhälfte vorliegen - darf mit Spannung entgegengesehen werden. Weiß
doch alle Welt, dass ein großes Missverhältnis zwischen den
Entschädigungsleistungen der deutschen Wirtschaft und dem Ausmaß ihrer
Beute aus "Arisierung" oder direktem Raub besteht - ein Missverhältnis
im Übrigen, das mit jedem neu zugänglichen Archiv größer wird.
Auf deutscher Seite macht man sich obendrein Sorgen,
der Schutz vor Klagen gelte unter Umständen nur so lange, wie die
Stiftung über Geldmittel verfügt. Diese Sorgen sind durchaus begründet.
Denn Voraussetzung für die Ablehnung von Klagen ist die Möglichkeit, die
Klagenden an die Stiftung verweisen zu können. Da deren Mittel aber
trotz des Ausschlusses von Opfergruppen wie etwa den Landarbeiterinnen
und Landarbeitern äußerst knapp sind und die Bereitschaft zur
finanziellen Nachbesserung im Fall von Zahlungsunfähigkeit ausdrücklich
abgelehnt wurde, kann eine solche Situation durchaus eintreten.
Probleme dieser Art ließen sich noch etliche benennen.
Der Weg zu ihrer Lösung wäre dennoch einfach. Die Gesellschaft der
Täter, ihrer Sachwalter und Nachfolger müsste sich lediglich bereit
erklären, ihrer historischen Verantwortung nachzukommen und den letzten
Überlebenden ihrer Verbrechen - zirka 90 Prozent der Opfer sind bereits
verstorben und ihre Angehörigen von Leistungen ausgeschlossen -
wenigstens in materieller Hinsicht halbwegs angemessen begegnen. Doch
genau dies ist nicht beabsichtigt. Statt dessen waren in den letzten
Wochen groteske Versuche zu beobachten, von den tatsächlichen Ursachen
für die Misere abzulenken. Zeitungen erschienen mit Überschriften wie
"Drückeberger" oder "Who´s who der Schamlosen". Unter den im Text
aufgeführten Unternehmen, die in den Wirtschaftsfonds nicht eingezahlt
hatten, befanden sich dann nicht nur Neugründungen nach 1945 wie
Internet-Startups, sondern auch Tochtergesellschaften ausländischer
Konzerne, die im Einzelfall selbst Opfer deutscher Kriegsführung
geworden waren.
Erinnerungspolitik in dieser Form wird auch an dem
Versuch erkennbar, für die bisherige Zahlungsverweigerung US-Gerichte
verantwortlich zu machen. Dabei wird in Abrede gestellt, dass diese
nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, den Stiftungsfonds
auf seine materielle Substanz hin zu überprüfen, bevor die NS-Verfolgten
an ihn verwiesen werden. Dass dennoch die Möglichkeit bestünde, selbst
unter Berücksichtigung deutscher Vorbehalte mit der Auszahlung zu
beginnen, macht der Vorschlag deutlich, zumindest gegenüber den
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern die Zahlungssperre aufzuheben,
weil deren Sammelklagen bereits zurückgenommen sind und in dieser
Hinsicht "Rechtssicherheit" besteht. Doch man beharrt auf der pauschalen
Beschlussfassung und lässt so diese alten Menschen dafür haften, dass
die Wirtschaft hinsichtlich der Regelung von Vermögensschäden billigst
davonkommt. So bleibt es also vorläufig dabei, dass die NS-Opfer keinen
Pfennig erhalten, während Tausende von ihnen Monat für Monat sterben.
Wenn das nicht einen Orden wert ist! |