Denkmal für den Rosa Winkel
Initiative will ein Denkmal für die im
Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Bis Ende des Jahres sollen
Empfehlungen für Ausschreibung und Ort vorliegen.
von HEIDE OESTREICH
Homosexuell sein ist erst in jüngster Zeit nicht
mehr unbedingt eine Sache der Tarnung. Der von den Nazis verschärfte
Strafrechts-Paragraf 175, der jede homosexuelle Handlung verbot, wurde
erst 1969 gestrichen. Und erst im vorigen Jahr rehabilitierte der
Bundestag die nach diesem Paragrafen Verfolgten. Jetzt soll die
Verantwortung sichtbar werden: Gestern stellte die Publizistin Lea Rosh
gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) den
Aufruf für ein "Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten
Homosexuellen" vor.
In räumlicher Nähe zum Holocaust-Mahnmal, etwa auf
einer der Wiesen im benachbarten Tiergarten, könne man sich einen Ort
des Gedenkens vorstellen, erläuterte der ehemalige Berliner
Grünen-Abgeordnete Albert Eckert, der seit längerer Zeit für eine
Initiative für ein solches Mahnmal spricht. Damit würde nach dem
Holocaust-Mahnmal, dem der Euthanasie-Opfer und dem der Sinti und Roma
ein vierter Gedenkort in unmittelbarer Nähe des Reichstags entstehen.
Homosexuell sein war lange eine Sache der Tarnung. Im
Dritten Reich wurde sie lebensnotwendig. Der NS-Männerbund, der
einerseits ein Netz homophiler Zeichen nutzte, indem er etwa den
männlichen Körper zu einer Art Ikone stilisierte, spaltete eben diese
Homophilie radikal ab: 1935 wurde der Paragraf 175 verschärft. Von nun
an galt jede gleichgeschlechtliche Handlung als "Unzucht", ein Kuss
reichte aus. Etwa 95.000 Personen, überwiegend Männer, erfasste die
"Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung"
als Homosexuelle, die meisten von ihnen waren denunziert worden. Etwa
50.000 sollen verhaftet, zwischen 15.000 und 20.000 in
Konzentrationslagern interniert worden sein. Zwangsarbeit,
"Umerziehung", Kastration: Mit Homosexuellen wurde experimentiert, über
die Hälfte der Internierten überlebte die Behandlung nicht. Für Lesben
galt der Paragraf 175 nicht. Zwar galten sie als "asozial", doch war man
der Ansicht, dass die Homosexualität "kein der deutschen Frau eigener
Wesenszug" sei. Die Unauffälligkeit der Lesben mindere zudem "die Gefahr
der Verderbnis" des deutschen Volkes, so wird der Nazijurist Rudolf
Klare in dem Band "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" zitiert.
Eine längere Auseinandersetzung darüber, ob der
schwulen und lesbischen Opfer gemeinsam gedacht werden solle, erklärte
Rosh für beendet. Lesben seien zwar nicht systematisch verfolgt worden,
doch hätten sie unter der Mutterkult-Frauenpolitik der Nazis ebenfalls
gelitten und ihre Infrastruktur sei ebenso verboten worden, lautete
damals das Argument für ein lesbisch-schwules Denkmal. Es müsse klar
sein, so resümierte Lea Rosh gestern: "die Verfolgung traf nur Männer".
Mit dem Denkmal solle aber "allen gedacht werden, die auch heute noch
bedroht werden". Ende dieses Jahres muss der Beirat des Kuratoriums für
das Holocaust-Mahnmal Vorschläge für das Gedenken für die anderen
Opfergruppen vorlegen. Bis dahin hofft die Initiative, die bisher von
Schriftstellern wie Günter Grass und Christa Wolf, aber auch von Paul
Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, und Romani Rose,
dem Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, unterstützt wird,
weitere prominente Fürsprecher gefunden zu haben.
Eine "Inflation der Mahnmale", die in der Debatte um
das Holocaust-Mahnmal befürchtet wurde, sah Rosh, die für separate
Mahnmale eingetreten war, nicht: "Ja, wollen Sie denn eine
Gedenkmeile?", habe Otto Schily sie damals gefragt - ihre Gegenfrage:
"Ja, warum denn nicht?"
kommentar
taz Nr. 6437 vom 4.5.2001
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SCHRÖDER MUSS SICH FÜR DAS GEDENKEN AN SCHWULE NS-OPFER EINSETZEN
Ein nötiges Zeichen
Der Vorschlag, das Holocaust-Mahnmal am
Brandenburger Tor dem nationalsozialistischen Mord an den europäischen
Juden zu widmen, war bei seiner Geburt nicht unumstritten. Viele
Vertreter weiterer Opfergruppen mochten nicht einsehen, was ihre
Vorfahren von denen der Juden unterschied. Tatsächlich hatten - und
haben - Sinti und Roma oder schwule Männer lediglich eine schlechtere
Lobby im Establishment der Bundesrepublik. Die Schuld am Holocaust ist
spätestens seit Ende der Sechzigerjahre Teil der politischen Reflexion
in Deutschland. Nur zur Erinnerung: Damals bestritten
Opferorganisationen wie die VVN noch den spezifisch nazistischen Gehalt
der Verfolgung von Schwulen und Zigeunern.
Grundsätzlich wäre es besser gewesen, das Mahnmal wäre
all jenen gewidmet worden, die auf Grund ihres Seins - und nicht ihrer
Überzeugungen - Opfer der NS-Politik geworden sind: also Juden,
Homosexuellen, Sinti und Roma. Es hätte deutlich gemacht, dass das
Vernichtungsinteresse der Nazis sich nicht auf eine "Rasse" allein
bezog, sondern auf alles, was nach ihrem Verständnis des "deutschen
Volkskörpers" fremd und folglich liquidierbar erschien. Zumindest vor
den Selekteuren des NS-Regimes waren die Opfer nämlich alle gleich:
Juden, weil Nazideutschland in ihnen verderbliche Liberalität entdeckte.
Zigeuner, weil sie nicht im deutschen Kleinbürgersinne zivilisierbar
waren. Und Schwule, weil sie allein wegen ihrer sexuellen Orientierung
der Idee des Mannes als eines gefühllosen Soldaten Hohn sprechen.
Trotzdem muss respektiert werden, dass nach langen
Diskussionen das Holocaust-Mahnmal den Juden gewidmet ist - und
niemandem sonst. Insofern ist die Initiative des Lesben- und
Schwulenverbandes für ein Denkmal zur Erinnerung an die homosexuellen
NS-Opfer zu begrüßen. Nicht im Bezirk Schöneberg - wie vor der
Nazi-Machtübernahme 1933 heute das Homoviertel der Hauptstadt - sollte
es gebaut werden, sondern ebenfalls in der Nähe des Brandenburger Tors,
mitten im alten und neuen politischen Zentrum Deutschlands. Zum Zeichen,
dass die vollständige Kriminalisierung des Homosexuellen einst von der
politischen Elite Deutschlands beschlossen und exekutiert wurde. Und als
Symbol für jene neuen Nazis, die heute gerade dort so gerne
demonstrieren.
So könnte das neue Deutschland zeigen, dass es seine
Minderheiten nicht mehr missachtet. Übrigens: Zu den Erstunterzeichnern
gehören bisher unter anderem Prominente wie Lea Rosh, Paul Spiegel,
Romani Rose, Günter Grass und Dieter Schulte. Die Signatur von Gerhard
Schröder fehlt. Er sollte sich nicht zieren, dieses Mahnmal zu seiner
Sache zu machen.
taz vom 4.5.2001 - JAN FEDDERSEN
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