Telefonkette gegen Rechts
Frankfurt am Main
Presseerklärung zu den Ereignissen
am 1. Mai 2001 in Frankfurt am Main
Die am 2. Mai 2001 in der Frankfurter St. Katharinenkirche versammelten
Angehörigen zahlreicher Initiativen und Gruppen, Mitglieder und
Vertreter/innen von Gewerkschaften und Parteien stellen zu den gestrigen
Ereignissen in Frankfurt fest:
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Am 1. Mai haben Neonazis in einem seit dem Ende der 70er Jahre nicht
mehr gekannten Ausmaß und nach wochenlanger bundesweiter
Mobilisierung versucht, eine „Nationale Großdemonstration“ in
Frankfurt durchzuführen. Frankfurt am Main, so führten sie im
Vorfeld aus, „steht für alles, was wir nicht wollen“ - und was
umgekehrt uns an Frankfurt wichtig ist: Multikulturalität und
Liberalität, eine lebendige und große jüdische Gemeinde, eine starke
und tiefverwurzelte antifaschistische und antirassistische Tradition
und gegenwärtige Kultur.
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Die Stadt Frankfurt hat in zwei Anläufen versucht, die Zumutung
dieser Demonstration auf juristischem Weg zu verhindern. Die
schließlich erfolgte Genehmigung der Nazikundgebung und
-demonstration durch den Verwaltungsgerichtshof in Kassel ist uns
völlig unverständlich.
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Dennoch ist es am 1.Mai wie auch schon am 7. April gelungen, den von
den Nazis unter der provokatorischen Parole „Frankfurt am Main ist
unsere Stadt“ angekündigten Marsch durch Frankfurt vollständig zu
verhindern. Das ist ein großer Erfolg für die demokratische,
antifaschistische und antirassistische Kultur dieser Stadt.
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Dieser Erfolg wurde an zwei Orten und in zwei unterschiedlichen
Formen errungen: durch eine breite Veranstaltung des DGB zum 1. Mai
und in Zusammenarbeit mit dem Römerberg-Bündnis am
Willy-Brandt-Platz einerseits, durch das Auftreten Tausender
Demonstrantinnen und Demonstranten aus allen Kreisen der Bevölkerung
im Bereich Bertramswiese – Bundesbank andererseits.
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Beide Veranstaltungen und Aktionen standen während der
Vorbereitungsphase seit Anfang April und auch während der Aktionen
am 1. Mai selber in ständiger direkter Verbindung und Absprache.
Dies geschah in der bewussten Absicht, möglichst viele Menschen und
Gruppen der Gesellschaft in Frankfurt gegen Faschismus und Rassismus
zu mobilisieren und zugleich auch praktisch dafür zu sorgen, dass
die Demonstration der Nazis nicht stattfinden würde können. Dieser
in wochenlanger Vorarbeit verfolgte Plan, über den auch die
Frankfurter Polizei informiert war, ist aufgegangen.
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Dieser große Erfolg war möglich, weil seit Anfang April 2001 in
Frankfurt eine neue Qualität antifaschistischer und
antirassistischer Zusammenarbeit erreicht werden konnte. Bereits am
7. April sprachen offizielle Vertreter des Magistrats und der CDU,
der SPD, der Grünen, des DGB, der VVN, der evangelischen Kirche und
der autonomen antifaschistischen Aktionsgruppen auf einer
gemeinsamen Tribüne an der Frankfurter Hauptwache, während
gleichzeitig Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten im Ostend
den Aufmarsch der Nazis wirksam verhinderten.
Im gleichen Stil verlief der 1. Mai.
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Wir haben den Eindruck, dass diese neue Qualität demokratischer und
antifaschistischer Zusammenarbeit in Frankfurt von Teilen der Medien
nicht erkannt und verstanden worden ist. In altbekannter, zum Teil
höchst tendenziöser und empörender Form wurde am 1. Mai vor allem in
der „Hessenschau“ aber auch in Teilen der Presse so berichtet, als
hätte die Veranstaltung auf dem Willy-Brandt-Platz und die Aktionen
rund um den Dornbusch nichts miteinander zu tun gehabt. Das
entspricht schlicht nicht den Tatsachen und widerspricht dem Satz
des Frankfurter Kreisvorsitzenden des DGB, Harald Fiedler, der am
Ende der Kundgebung des Römerbergbündnisses erklärte: „Wir erklären
uns solidarisch mit denjenigen, die sich mutig den Faschisten
entgegengestellt haben.“
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An Oberbürgermeisterin Petra Roth, die sich auf der Veranstaltung
des Römerbergbündnis in die Reihe der AntifaschistInnen und
AntirassistInnen gestellt hat, haben wir die Frage: wer hat es
veranlasst und genehmigt, dass die Nazidemonstranten in polizeilich
geschützten Sonderzügen der Frankfurter U-Bahn zu ihrem
Kundgebungsort an der Bertramswiese gefahren wurden? Wer bezahlt
diesen U-Bahn-Einsatz und wer kommt für die Beschädigungen an den
U-Bahn-Wagen auf? Wir fordern, dass künftig solche Vergünstigungen
für Nazi-Demonstranten unterbleiben. Natürlich respektieren wir,
dass der Hessische Verwaltungsgerichts-hof die Demonstration der
Nazis unter Verweis auf Art. 8 GG genehmigt hat. Aber es gibt ja
wohl kein Recht von Demonstrantinnen und Demonstranten darauf, auf
Kosten der Öffentlichkeit zu ihrem Demonstrationsort gefahren zu
werden, während Gegendemonstrantinnen und -demonstranten sich nicht
frei in der Stadt bewegen dürfen und sich ganze Straßenzüge
gleichsam unter Belagerungszustand befinden (vgl. Punkt 11)! Wie
verträgt sich das mit Ihrer Rede am Willy-Brandt-Platz, Frau Roth?
- Zum Verhalten der
Polizei begrüssen wir zunächst den Beschluss des Einsatzleiters vor
Ort, Moog, die angekündigte Nazidemonstration von der Bertramswiese
zur Bundesbank trotz gerichtlicher Verfügung nicht durchzusetzen,
weil dies nur auf Kosten unverhältnismäßiger polizeilicher Gewalt
gegen die zahlreichen Blockaden der Nazi-Demonstationsroute durch
Gegendemonstranten im Bereich Marbachweg – Dornbusch – Hansaallee –
Platenstrasse - Bundesbank möglich gewesen wäre. Auch dieses
richtige Verhalten der Polizei folgte dem Muster der Ereignisse am
7. April. Es zeigt, wie notwendig die starke Präsenz der
GegendemonstrantInnen vor Ort war.
Man kann es nicht deutlich genug sagen: ohne sie wären die
Redebeiträge der Vertreterinnen und Vertreter des
Römerbergbündnisses am Willy-Brandt-Platz wenige Kilometer nördlich
zur gleichen Zeit in der Praxis Lügen gestraft worden!
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Zugleich
kritisieren wir die zum Teil unverhältnismässige Gewaltanwendung
durch die Polizei beim Zustandekommen einer Reihe von kleinen
„Kesseln“ rund um den Dornbusch, im Zusammenhang der Festnahme eines
offenkundig psychisch Kranken direkt am Dornbusch und vor allem im
Bereich Hügelstrasse / Nordzubringer, als es nur noch darum ging,
die Sonderbusse der herangekarrten Neonazis zur Autobahn zu
geleiten. Noch nach der Durchfahrt der Busse kam es hier zu
Wasserwerfer- und Schlagstockeinsatz der Polizei gegen
Gegendemonstranten. Selbst unbeteiligte Passantinnen und Passanten
wurden in Nebenstrassen der Eschersheimer Landstrasse getrieben. Wir
werden in einem Nachgespräch mit der Polizei zu klären versuchen,
wie sich die Situation aus ihrer Sicht darstellte und werden unsere
Kritik an Teilen des Polizeieinsatzes vorbringen.
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In zwei Punkten verurteilen wir das Verhalten der Polizei scharf:
bei der Kundgebung der Nazis auf der Betramswiese kam es unter den
Augen der Polizei wiederholt zu rechts- und verfassungswidrigen
Äußerungen: es wurden Hochrufe auf Adolf Hitler ausgebracht und
verbotene Symbole gezeigt. Eine anwesende Gegendemonstrantin wies
Polizeibeamte darauf hin und versuchte, diese Rechtsbrüche an Ort
und Stelle zur Anzeige zu bringen. Die Polizei weigerte sich, diese
Anzeige aufzunehmen und einzugreifen. Die selbe Gegendemonstrantin
musste die Polizei erst darauf hinweisen, dass ein Fotojournalist
auf der Bertramswiese von Nazis bedrängt und an seiner Arbeit
gehindert wurde, ehe Polizisten diesem Kollegen zu Hilfe kamen.
Völlig unverständlich ist uns das Verhalten der Polizei am
Kaiserplatz genau während der Rede von Petra Roth. In den Medien
wird behauptet, hier hätte eine Gruppe von Türken die Polizei
"überfallartig" mit Dachlatten und Steinen angegriffen. Wir stellen
auf Grund des Berichts von Augenzeugen, die uns heute informiert
haben, dazu fest: eine Gruppe von Gewerkschafterinnen und
Gewerkschaftern der IG Metall und der GEW hatte zu diesem Zeitpunkt
die Absicht, die Kundgebung am Willy-Brandt-Platz zu verlassen und
sich auf den Weg zum Dornbusch zu machen. Sie wurde von der Polizei
grundlos und mit Gewalt (Einsatz von Wasserwerfer und Schlagstöcken)
an diesem selbstverständlichen Recht gehindert. Angesichts der
Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt seit langem bereits der Weg
Richtung Dornbusch für DemonstrantInnen aus der Innenstadt in Höhe
Miquelallee gesperrt war, kann es für dieses Vorgehen der Polizei
nur die Bezeichnung Freiheitsberaubung geben. Wir verlangen, dass
dieser unglaubliche Vorgang ebenso aufgeklärt wird wie das Vorgehen
der Polizei an der Wöhlerschule, wo vor einem Polizeieinsatz
flüchtende Jugendliche noch bis auf die Toiletten der Schule
verfolgt worden sein sollen.
Abschließend wollen wir an einen Satz erinnern, der am Ende der
siebziger Jahre nach dem schon damals erfolglosen Versuch der Neonazis,
in Frankfurt Fuß zu fassen, in deren Kreisen umgegangen sein soll: „Nie
wieder Frankfurt.“
Die bleibende Richtigkeit dieser ihrer Erfahrung konnten wir den
Neonazis auch am 1. Mai wieder vermitteln: der DGB, das Römerbergbündnis
und viele Initiativen und Gruppen, viele einzelne Menschen, die sich
gegen Rassismus und Faschismus engagieren. Der Erfolg dieses Tages
gehört uns allen. Und er zeigt: nicht die haben Recht, die uns, wie in
Teilen der Presse und auch in der „Hessenschau“ zu lesen und zu sehen
war, empfehlen, die Neonazis doch einfach zu ignorieren, sondern die,
die sich am 1.Mai bewegt haben und auch weiter bewegen werden.
Wir werden es auch in Zukunft nicht dulden, dass es in Frankfurt zu
Kundgebungen und Demonstration von Rassisten und Faschisten kommt. Und
wir werden keine Ruhe geben, bis gemäß Art. 139 GG die NPD und alle
faschistischen Organisationen zum Schutz der Demokratie verboten sind.
Frankfurt am Main bleibt unsere Stadt! |