Trauer um Emil Carlebach:
Ein grosser Kämpfer lebt nicht mehr
Am 9.April 2001 verstarb in Frankfurt am Main nach langer Krankheit der
antifaschistische Widerstandskaempfer Emil Carlebach. Der Mitbegruender
der VVN-BdA und langjaehrige Vizepraesident des Internationalen
Buchenwald-Komitees wurde am 10. Juli 1914 als Sohn einer Frankfurter
Kaufmannsfamilie geboren. Schon fruehzeitig wurde er politisch aktiv:
Zuerst im Sozialistischen Schuelerbund, spaeter im kommunistischen
Jugendverband und in der KPD.
Als 18jaehriger trat er der Gewerkschaft bei. Wachen
Auges verfolgte er die Entwicklung in den letzten Jahren der Weimarer
Republik. Fuer ihn war klar, dass es kein "Sturz ins Dritte Reich" war,
sondern eine von oekonomisch und politisch maechtigen Kraeften
gestuetzte Entwicklung. "Hitler war kein Betriebsunfall", so titelte er
spaeter eines seiner erfolgreichsten Buecher.
Der Januar 1933 machte ihn zum doppelt Ausgegrenzten: als politischen
Gegner und als Angehoerigen einer juedischen Familie. Schon bald wurde
er wegen antifaschistischer Taetigkeit verhaftet und zu einer ersten
Gefaengnisstrafe verurteilt. Sofort nach seiner Entlassung setzte er
seinen Widerstand fort, schrieb Artikel und stellte illegale Zeitungen
her. Im Januar 1934 wurde er erneut verhaftet. Nun begann eine mehr als
elfjaehrige Tortur als "Toter auf Urlaub". Verurteilt zu drei Jahren
Gefaengnis, wurde er nach der Haftzeit in das KZ Dachau ueberfuehrt.
1938 kam er nach Buchenwald, wo er bis zum 11.April 1945 interniert war.
In Buchenwald wurde er schon bald in die illegale Lagerorganisation der
Haeftlinge integriert. Obwohl Juden eigentlich keine Funktionen
bekleiden durften, gelang es der Haeftlingsorganisation, Emil Carlebach
zum Blockaeltesten im Block der juedischen Haeftlinge zu machen. Dort
konnte er durch umsichtiges Handeln und klare Orientierung fuer die
neuankommenden Haeftlinge dazu beitragen, dass viele von ihnen nicht am
SS-Terror zerbrachen, sondern Mut fassten und damit ueberlebten.
Zurecht sah die SS in Emil Carlebach einen der Akteure
des illegalen Widerstandes der Haeftlinge im Lager Buchenwald. Als am
Morgen des 6. April 1945 die SS 46 deutsche und auslaendische
politischen Haeftlinge ans Tor befahl mit dem Ziel der Liquidierung, war
sein Name darunter. Die 46 Haeftlinge wurden jedoch von ihren
Mitgefangenen vor der SS versteckt und Emil Carlebach ueberlebte dadurch
die Hoelle von Buchenwald. Fuer ihn wurde der 11.April 1945, der Tag der
Selbstbefreiung des Lagers, zum Tag der "zweiten Geburt", wie er es
einmal formulierte.
Im Mai 1945 kehrte Emil Carlebach nach Frankfurt/M. zurueck und stuerzte
sich mit ganzer Kraft in den antifaschistisch demokratischen Neubeginn
in Hessen. Ob beim Wiederaufbau der Arbeiterparteien, die er sich aus
den Erfahrungen der Weimarer Zeit nur als Einheitsorganisationen
vorstellen konnte, in den entstehenden parlamentarischen Formen als
Stadtverordneter und als Mitglied des hessischen Landtages ab Dezember
1946 oder als Mitbegruender und Lizenztraeger der "Frankfurter
Rundschau", immer stand Emil Carlebach als Kommunist und Antifaschist in
der vordersten Linie des politischen Geschehens. Doch bald schon musste
er erleben, dass antifaschistischer Neuanfang mit den Vorstellungen der
amerikanische Militaerbehoerden nicht konform ging. Auf Druck der
Amerikaner entwickelte sich trotz klarer Mehrheiten fuer die
Arbeiterparteien im hessischen Landtag eine Grosse Koalition; Emil
Carlebach selber wurde 1947 von der Militaerbehoerde als Lizenztraeger
der FR abgeloest.
Als Mitbegruender der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" in
Frankfurt, in Hessen und auf gesamtdeutscher Ebene in den Jahren 1946/47
machten er und seine Kameraden in den folgenden Jahren auf
verhaengnisvolle Entwicklungen aufmerksam, protestierten gegen
schleppende Entschaedigungszahlungen oder gegen die Rehabilitierung
alter Nazis.
Nach dem KPD-Verbot siedelte Emil Carlebach zeitweilig in die DDR ueber
und arbeitete dort als Journalist. Nach seiner Rueckkehr in die
Bundesrepublik wurde er ueber lange Jahre Mitglied des Praesidiums der
VVN-BdA und leitender Redakteur der antifaschistischen Wochenzeitung
"Die Tat". Anfang der 70er Jahre uebernahm er verstaerkt Funktionen auch
in der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora und vertrat die deutschen
Kameraden als Vizepraesident des Internationalen Buchenwald-Komitees.
Neben seiner journalistischen Taetigkeit war sein Hauptanliegen die
Geschichtsvermittlung an die nachwachsenden Generationen. Dafuer
verfasste er zahlreiche Aufsaetze und Buecher zu den Themen: Wie konnte
es zum Faschismus kommen?, Arbeiterjugendbewegung in Frankfurt/M.,
antifaschistischer Widerstand, zur Geschichte des KZ Buchenwald und zur
Leistung des Haeftlingswiderstandes sowie ueber die Gruenderjahre der
"Frankfurter Rundschau". Viele dieser Buecher erlebten mehrere Auflagen.
Vor allem waren sie Anknuepfungspunkte fuer Gespraeche und Diskussionen
mit jungen Menschen, in denen Emil Carlebach bis vor wenigen Jahren
seine Erfahrungen weiterzugeben versuchte.
Mit seinen klaren Worten, die mit Schaerfe gegen den politischen Gegner
nicht sparten, machte er sich nicht bei allen beliebt. Manche, vor allem
politisch Verantwortliche, fuehlten sich (meist zurecht) angegriffen.
Doch diese Gradlinigkeit und Klarheit verschaffte ihm auf der anderen
Seite auch enormen Respekt. Fuer alle Gutwilligen war erkennbar, dass er
weiterhin zu seiner Überzeugung, fuer die er Gefaengnis und KZ in Kauf
genommen hatte, stand. Gesellschaftliche Anerkennung konnte er als
Kommunist in der Bundesrepublik lange Jahre nicht erwarten. Geehrt wurde
er jedoch durch die VVN-BdA mit der Ehrenmedaille des Widerstandes und
durch die Stadt Frankfurt/M. mit der Johanna-Kirchner-Medaille.
Eine heimtueckische Krankheit hinderte ihn in den letzten Jahren, weiter
an den ihm so wichtigen politischen Debatten und der
Geschichtsvermittlung teilzunehmen. In einem Brief erinnerte er 2000 am
Jahrestag der Selbstbefreiung an den Schwur von Buchenwald: "Das war und
ist und bleibt unsere Losung. Das haben wir 21.000 vor einem halben
Jahrhundert auf dem Appellplatz in Buchenwald geschworen. Doch unser
Ziel ist noch nicht erreicht. In vielen Laendern toben neue Kriege,
erheben faschistische Demagogen wieder ihr Haupt. Wir, die Veteranen des
antifaschistischen Kampfes, erinnern uns und warnen unsere Voelker, vor
allem unsere Jugend: Glaubt nicht den Schlagworten. Wir muessen in Wort
und Tat der heraufziehenden Gefahr widerstehen. Das sind wir unseren
gefallenen Kameraden und unseren heutigen jungen Mitgliedern schuldig."
Emil Carlebach hat die antifaschistische Geschichte und Politik in der
Bundesrepublik Deutschland aktiv mit gepraegt.
Dr.Ulrich Schneider, Bundessprecher der VVN-BdA
|