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Deutscher Stolz

Rechthaben ist nicht genug

Von Michael Jäger

Erstveröffentlichung: Freitag
Die Ost-West Wochenzeitung vom 23.03.01

Die Leitkultur-Debatte wird mit gröberen Mitteln weitergeführt. Der letzte Aufrechte ist Jürgen Trittin. Aber er hat wieder mal eine wichtige Chance vertan

Wieder einmal sehen Parteistrategen ihre Wahlkampfpläne durchkreuzt: der Satz "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" ist unerwartet zum Finalthema vor der Entscheidung in Stuttgart und Mainz geworden. Dass Laurenz Meyer ihn für die CDU reklamierte und Jürgen Trittin darin rechtsradikale Mentalität fand, treibt nun viele Fernsehjournalisten mehr um als die "Sachfragen". Muss man das beklagen? Es wird sich jedenfalls auf den Wahlausgang auswirken. Ein Politikbeobachter wie Daniel Goeudevert hätte lieber Trittins Versagen als Umweltminister erörtert gesehen. Fritz Kuhn, der grüne Parteichef, muss die Hoffnung auf einen Wahlkampf im Zeichen der neuen Landwirtschaftspolitik begraben. Ja, davon können CDU- und FDP-Politiker jetzt "ablenken", indem sich ihre Ergebenheitsadressen zum Deutschtum überschlagen. Doch dieser Vorgang ist selbst so interessant, dass man die Wende im Wahlkampf eher begrüßen sollte.

Alle distanzieren sich von Trittin. Jetzt habe er keinen Schuss mehr frei, sollen sogar eigene Parteifreunde gewarnt haben. Dabei hat er etwas erreicht: seine Kritiker müssen Laurenz Meyers Gedanken ausführlicher entwickeln. Und da tun sich Abgründe auf. Wenn Kurt Beck, der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, vom Stolz auf die Leistung erst "der Bundesrepublik" nach 1945 "und dann des gesamten Deutschland" nach 1990 spricht, ist zwar wenigstens eine Schamgrenze eingehalten - die Frage, ob man etwa auch auf Auschwitz stolz sein kann, wird mit lärmendem Schweigen quittiert. Das ist skandalös genug. Warum kann er nicht sprechen? Ist das immer noch ein Risiko in "unserem Land"? Aber dann muss Beck auch noch andeuten, dass jedenfalls DDR-Bürger überhaupt niemals einen Grund hatten, selbstbewusste deutsche Staatsbürger zu sein. Wer weiß, ob das nicht die Nachfrage nach Skinhead-Hemden mit der Aufschrift "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" noch weiter ansteigen lässt.

Auch Guido Westerwelle, der designierte FDP-Chef, möchte so tun, als ginge es nur um die Nach-Auschwitz-Zeit. Bei ihm sieht man aber deutlich: Ihm gelingt nicht, den Satz auch nur nachzusprechen - dazu ist der Mann zu anständig! Wenn das kein rechtsradikaler Satz ist, warum muss Westerwelle ihn dann gegen andere Sätze vertauschen? "I'm proud to be a German" schrieb er in der FAZ. Ja, wenn es englisch oder türkisch auf den Hemden stünde! Dann könnte man sie an Türken mit Doppelpass verteilen - dann könnte gefragt werden, warum die FDP der rot-grünen Doppelpass-Politik nicht vorbehaltloser zustimmte. "Ich bin stolz, Deutscher in Europa zu sein": auch gut - ein Satz für Emigranten, Heine in Paris, Marx in London... "Stolz auf das eigene Land", "auf die Menschen in diesem Land", "stolz auf unsere Werte und Institutionen", auf deutsche Sportler, auf Entwicklungshelfer - was für ein erbärmlich feiges Herumeiern!

Warum sagt Westerwelle nicht einfach, dass er Laurenz Meyers Satz zurückweist? Das tut er doch offenbar, und aus gutem Grund! Denn er wird sich dasselbe denken wie der FAZ-Journalist Bahners, der es im Unterschied zu ihm auch niederschrieb (beide in der Ausgabe vom Montag): Wer sagt, er sei nicht auf andere Deutsche, sondern auf sich selbst stolz nur deshalb, weil er Deutscher sei, der variiert damit den anderen Satz, dass er stolz sei, kein Ausländer zu sein. Diese beiden Sätze bedeuten dasselbe. Eben weil das so ist, steht der von Meyer verwendete Satz auf Skinhead-Hemden. Und eben, weil er auf Skinhead-Hemden steht, hat Meyer ihn verwendet. Das fand Trittin skandalös - er hatte Recht!

Sicher ist jemand, der einem rechtsradikalen Satz zustimmt, deshalb noch nicht gleich selbst ein Rechtsradikaler. Aber wer kennt denn nicht die Unionsstrategie seit einem halben Jahrhundert: die Nazis ins eigene Parteilager zu integrieren, damit sie keinen Ärger machen? Wer weiß denn nicht, was die CDU in Kauf nimmt, um das zu erreichen? Dass sie einen Globke in die Regierung nahm? Diese Methode, die in den fünfziger Jahren zur Festigung der neuen Demokratie beigetragen haben mag, ist heute nur geeignet, sie zu unterwühlen. Da darf man ihrer Verwendung nicht tatenlos zusehen. Aber es erweist sich als schwer, der CDU Paroli zu bieten. Dem Zündeln mit der "deutschen Leitkultur" ist das Regierungslager noch einmütig entgegengetreten. Jetzt, wo dieselbe Kampagne mit vergröberten Mitteln fortgeführt wird, fallen sie reihenweise um, Trittin steht auf einmal als letzter Aufrechter da. Die Union hat wieder einmal ihre Alleinzuständigkeit für die Definition deutscher Fragen bewiesen.

Trittin hatte recht - aber Rechthaben ist nicht genug. Man könnte sich doch fragen, bei welchem Verhalten diese immer wiederkehrende Situation der nationalen Hegemonie der Rechten einmal nicht eintreten würde. Durch Trittins Verhalten wird sie nur stabilisiert. Bei ihm hört man heraus, dass er sagen will: "Es ist meine Schande, dass ich ein Deutscher bin." Das ist nun auch nicht akzeptabel. Mit diesem Subtext verglichen sind Beck und Westerwelle sogar weiter, denn ihr im Ansatz richtiger Gedanke ist, dass Deutschland sich bessern kann. Es ist nicht ausweglos in seine Vergangenheit eingebannt. Diese Herren verdienen nur Kritik wegen der Selbstgefälligkeit, mit der sie die historische Speckseite schon erreicht zu haben glauben. So ist Westerwelle auch auf die Soldaten stolz, die im jugoslawischen Bürgerkrieg für die UÇK Partei ergriffen haben.

Und Beck? Ist er womöglich stolz, weil "unser Land" seinen Parteifreund Funke als Landwirtschaftsminister und Verfasser zynischer BSE-Gedichte erleben durfte? Da sieht man, welche Chance wieder einmal vertan wurde. Trittin hätte sagen können: Deutsche, führt die ökologische Wende herbei! Fragt, was ihr für euer Land tun könnt! Besiegt die strukturelle Erwerbslosigkeit! Macht Deutschland zum Vorreiter! Wenn es gelungen ist, könnt ihr stolz sein! Wir müssen uns gedulden - vielleicht kommt beim nächsten Mal jemand auf die Idee.

klick-nach-rechts.de

27.03.2001

 


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