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Rassistischer Angriff in Guben
Serielle Pünktlichkeit
von hito steyerl
aus: Jungle World 2/2001
In Guben herrscht das Gesetz der Serie. Seit dem
Tod Farid Guendouls vor fast zwei Jahren folgen dort mit
zwangsneurotischer Pünktlichkeit Schändungen von Guendouls Gedenkstein
und Überfälle auf Nicht-Arier aufeinander.
Auch der jüngste Messerangriff auf den Deutsch-Asiaten
Dietmar S. folgt diesem Muster. Er ist keine Ausnahme. Er ist die Regel.
Angesichts der Anzahl der Gewalttaten wäre es überraschend gewesen, wenn
diesmal zu den Beteiligten noch ein Ersttäter gezählt hätte. Man müsste
sich fragen, wieviele davon insgesamt noch herumlaufen. Aber es sind
immer dieselben. Einer der Verdächtigen, David B., ist schon wegen der
Beteiligung an Guendouls Tod verurteilt. Ein anderer, Mike Sch.,
schändete den jüdischen Friedhof in Guben. Der dritte und der vierte
Verdächtige, Manuel K. und Matthias D., beschädigten den Gedenkstein für
Guendoul.
Vor allem an diesem Stein wird der serielle Charakter
der Taten evident. Dieser Stein wurde innerhalb der letzten 18 Monate
beschmiert, bespuckt, durch Schläge beschädigt, mit einem Messer
traktiert, bepisst und gestohlen. Das meiste davon mehrfach. Insgesamt
dreimal wurden Angeklagte im Guendoul-Prozess deswegen festgenommen. Ein
anderer Angeklagter griff noch während des Prozesses einen schwarzen
Jugendlichen an. Auch für die Verprügelten gilt das Gesetz der Serie.
Issaka K., einer der Überlebenden der Hetzjagd, der Guendoul zum Opfer
fiel, wurde kurz danach ein zweites Mal attackiert und verletzt.
Nicht nur die Taten wiederholen sich, auch die
Reaktionen darauf. Besonders kalkulierbar sind die von Jörg Schönbohm.
Er fordert geradezu gebetsmühlenhaft die Aufstellung einer Videokamera
am Gubener Gedenkstein. Seltsam daran ist nicht nur, dass der
brandenburgische Innenminister sich selbst öffentlich dazu ermuntern
muss. Wer außer ihm ist eigentlich noch dafür zuständig? Seltsam ist
auch, dass diese Kameras mittlerweile woanders stehen - in
brandenburgischen Innenstädten. Dort beugen sie dem Autoklau vor.
Während Schönbohm die Gubener Nazijungs dazu benötigt,
gesellschaftliche Akzeptanz für die Verfeinerung polizeilicher
Repressionstechniken herzustellen, benutzt er zur Durchsetzung ihrer
Ziele einfach nur andere Methoden. So versuchte er auf seine Weise,
Khaled B., den anderen Überlebenden der tödlichen Hetzjagd von Guben,
loszuwerden. Seine Begründung: B. sei durch diesen Vorfall derartig
traumatisiert worden, dass er sich in Deutschland nicht mehr integrieren
könne. Die Täter hingegen integriert Schönbohm durch erfolgreiches
Flankenspiel. Man solle nicht Fußball gegen Rechts, sondern lieber mit
den Rechten Fußball spielen, ließ er sich kürzlich vernehmen. Alles
andere sei Ausgrenzung.
Auch diese Art seltsamer Erklärungen ist Routine: Er
habe nicht zugestochen, sondern nur mit dem Messer »gefuchtelt«, gab
Mike Sch., Verdächtiger der jüngsten Messerattacke zu Protokoll. Und
während des Guendoul-Prozesses wurde die Schändung des Gedenksteins
durch einen Angeklagten von einem der Anwälte folgendermaßen begründet:
Der Junge sei frustriert gewesen, sich in einem von genau diesen
Anwälten immer wieder verzögerten Prozess für den Tod von Farid Guendoul
verantworten zu sollen. Zwei Polizisten, die diese Schändung, ohne
einzuschreiten, beobachteten, erklärten ihre Tatenlosigkeit mit
»taktischen Gründen«. Und einer der anderen Verurteilten versucht nun,
seine Haftunfähigkeit damit zu begründen, dass er ein chronischer
Bettnässer sei.
In Guben ist der Ausnahmezustand schon längst die
Regel. Angesichts dieser Normalität gäbe es nur eine Überraschung - dass
diese Serie unterbrochen würde.
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