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Judentum und Israel
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Österreichische Normalität

Der Wiener Wahlkampf zeigt, was nach einem Jahr Schüssel/Haider wieder möglich ist: Unverhohlener Antisemitismus und die Forderung nach "ausländerfreien" Zonen

Aus den frühen Tagen der blau-schwarzen Regierung rühren die weiseren Sprüche des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel. Der Mann hatte damals nicht nur als ultimatives Argument für den Pakt mit dem Vormann der Freiheitlichen ins Treffen geführt: "Haider ist kein Hitler, ich bin kein Dollfuß" (der christsoziale Parteiführer in den 30er-Jahren, der die Demokratie abschaffte). Schüssel hatte auch, angesichts der scharfen Reaktionen der 14 EU-Staaten insistiert: "Österreich ist nicht Serbien."

Zumindest Letzteres hat sich als wahr erwiesen, freilich auf andere Weise, als von Schüssel intendiert: Während sich Serbien nach der friedlichen Revolution in Riesenschritten den Prinzipien einer westlich-liberalen Demokratie annähert, ist Österreich in die Gegenrichtung unterwegs.

Hatte der Kanzler es vor einem Jahr noch tapfer als seine Mission ausgegeben, Haider in die Regierung zu binden oder wahlweise: zu "entzaubern", zeigt die Kampagne für die Wiener Landtagswahl vom kommenden Sonntag, wie wenig ihm das gelungen ist; ja, wie sehr sich in einem Jahr Blau-Schwarz die zivilisatorischen Grenzen verschoben haben, wie schleichend der Rest des Bewusstseins darüber erodiert, was als jenseits der demokratischen Normalität zu gelten hat.

Da verspricht ein Kandidat der Freiheitlichen, er würde den Bezirk, in dem er antritt, "ausländerfrei" machen, da werden großflächig Plakate geklebt, die das Wort "Ausländer" und "Kriminalität" in auffälliger Nähe platzieren. Und da wird zum ersten Mal seit langem in einem westeuropäischen Land der Repräsentant der jüdischen Gemeinden zur Zielscheibe massiver persönlicher und antisemitischer Kritik.

Im Stakkato hat Haider in den vergangenen Wochen auf zuerst subtile und dann auf immer unverhohlenere Form die jüdische Bevölkerung ins Zentrum seiner Pöbeleien gestellt. Begonnen hat es mit der launigen Spitze gegen einen amerikanischen Wahlkampfberater des Wiener Bürgermeisters. Dem "Herrn Greenberg" von der "Ostküste" stellte er die FPÖ-Spitzenkandidatin mit dem "Wiener Herz" gegenüber. Und dann legte Haider beim politischen Aschermittwoch noch eins drauf. Direkt nahm er Ariel Muzicant, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, ins Visier. In Anspielung auf ein bekanntes Waschmittel schrie Haider unter dem Gejohle des Publikums, er verstehe nicht, "wie jemand Ariel heißen könne, der so viel Dreck am Stecken hat".

In der Folge variierte Haider seine Angriffe, was für ihn den Vorteil hatte, dass er kein antisemitisches Klischee auslassen musste. Ging es zuerst um die Immobiliengeschäfte Muzicants (jüdischer Spekulant), dann um seine Rolle bei den eben abgeschlossenen Restitutionsverhandlungen (geldgieriger Jude), so zuletzt um die politische Kritik Muzicants an der ÖVP/FPÖ-Regierung: Muzicant sei "hier eingewandert" und würde jetzt sein Land im Ausland "vernadern", also schlecht machen. Und über alldem als Leitmotiv: Der Jude, der ewige Gauner!

Wenn die öffentliche Rede bislang als das bevorzugte politische Stilmittel gelten konnte, so hatte Haiders Partner Wolfgang Schüssel im vergangenen Jahr das öffentliche Schweigen zu der für ihn typischen Intervention ins politische Geschehen erhoben. Geradezu mannhaft weigert er sich seit Wochen, sich von der antisemitischen Hetze Haiders zu distanzieren, tat sie höchstens als "Faschingsscherz" ab. Das Höchste, was ihm zu entlocken ist, ist der Hinweis, Haiders Rhetorik sei "nicht mein Stil" - nur um im nächsten Augenblick Muzicant mit eigenen Worten anzugreifen: Schließlich habe jeder sich Kritik gefallen zu lassen. Damit insinuiert Schüssel (ob absichtlich oder unbewusst), Haiders Rundumschläge seien in der Sache gerechtfertigt, wenn auch im Ton unangebracht. Die Logik ist bekannt: Der Antisemitismus ist "das, was wir überwunden glaubten" (so wurde in den Waldheim-Jahren argumentiert), doch wenn er seine Fratze zeigt, ist das nicht die Schuld des Antisemiten, sondern letztlich die der Juden selbst.

Wie sehr das politische Setting ins Rutschen gekommen ist, zeigt auch, dass es hierzulande als Beruhigung gilt, dass Haiders Pöbeleien ja "nur Worte" seien - als wäre es irgendein Ausweis für eine Demokratie, wenn nur verbal gehetzt wird, es aber keine Pogrome gibt. Das österreichische Beispiel ist insofern lehrreich, als sich in einem westeuropäischen Land erweist, wie zerbrechlich die zivilisatorischen Errungenschaften in jedem Moment sind und wie schnell, wenn auch schleichend, der Firnis dünner wird. Hierzulande ist kaum mehr eine Meldung wert, was anderswo ein Skandal wäre.

Etwa, dass nahezu die gesamte Regierung - vor allem die freiheitliche Riege - die Bilanz zum einjährigen Jubiläum ihres Bestehens in der Wochenzeitung Zur Zeit des Haider-Beraters Andreas Mölzer vorlegte. Zur Zeit ist in Aufmachung und Ausrichtung an seinem deutschen Vorbild, der Jungen Freiheit, orientiert - auf den ersten Blick von dieser nicht zu unterscheiden.

Einer der Hauptsponsoren des Blattes amtiert quasi als oberster Personalberater der Republik bei der Umfärbung der Vorstands-, Direktoren- und Aufsichtsratsposten in Staat, staatsnaher Wirtschaft und Sozialversicherungen. Vertreter von Gewerkschaften und überhaupt alle, die den neuen Regierenden nicht passen, werden aus leitenden Funktionen gefeuert, und - wenn dies rechtlich nicht möglich ist - gemobbt, um sie durch Vertraute des FPÖ-Drahtziehers und dritten Nationalratspräsidenten Thomas Prinzhorn zu ersetzen. Schließlich droht auch der "Spitzelskandal" - die Enthüllung, dass die Freiheitlichen in den vergangenen Jahren nicht nur den staatlichen Sicherheitsapparat unterwanderten, sondern sich seiner auch bedienten, um Gegner auszuspionieren -eine überraschende Wendung zu nehmen. Zwar dürften einige mittelhohe FP-Funktionäre und eine Handvoll Polizisten demnächst angeklagt werden, die Ermittlungen gegen Jörg Haider und einen ehemaligen FP-Fraktionsvorsitzenden wurden aber eingestellt. Mit beteiligt an dieser Entscheidung war ein Oberstaatsanwalt, der nicht nur in jungen Jahren Mitkämpfer in einer neonazistischen Kadertruppe war, sondern bis zuletzt als Wortführer einer "schlagenden Verbindung" auftrat, die heute noch post mortem eine ganze Reihe von NS-Kriegsverbrechern als Ehrenmitglieder würdigt.

Dies alles wird vom Kanzler als "demokratische Normalität" gefeiert. Wie überhaupt das Wort "Demokratie", ausgesprochen von den Protagonisten der Wenderegierung, einen bedrohlichen Klang erhalten hat. Muzicant habe "keinen Platz in der Demokratie", sagte Haider zuletzt in den Abendnachrichten über den obersten Repräsentanten der jüdischen Bevölkerung.

So weit ist es gekommen, nach einem Jahr Schüssel-Regierung. Kommt nichts Unvorhergesehenes dazwischen, hat sein Kabinett noch zweieinhalb Jahre Zeit, diesen Weg konsequent fortzusetzen. Eine nicht ganz erbauliche Perspektive. 

ROBERT MISIK

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taz Nr. 6403 vom 22.3.2001, Seite 11, 241 Zeilen Kommentar ROBERT MISIK , taz-Debatte

 


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