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Judentum und Israel
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Wenn Gute zuviel tuten:
Der Sprechblasen-Antifaschismus der Bundesregierung ist bestenfalls nutzlos.

Von Jürgen Elsässer

"Die Bundesregierung arbeitet für ein Deutschland ohne Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt." Potzblitz, wer hätte das gedacht? Nazis, aufgepaßt - ab sofort wird zurückgeschossen. Die Parole lautet: Deutschland, einig Antifa. Schröder und seine Mannen haben sich wirklich geändert: Ungefähr bis zum Jahreswechsel 1998/99 tanzten sie mit Wegschau-Martin den letzten Walser des seeligen Vergessens. 

Danach jedoch wurde alles anders. Genauer gesagt: Seit die Regierung im Krieg gegen Jugoslawien gemerkt hat, daß alles viel leichter geht, wenn man auf Antifaschismus macht. Nach der "Fratze der eigenen Geschichte", die Verteidigungsminister Scharping im Kosovo erkannt haben wollte, wird nun, für manchen altgedienten Linken einigermaßen überraschend, auch im Inland gefahndet: Die Bundesregierung hat eine alte Forderung der DKP aufgegriffen und will die NPD verbieten, die Boulevardpresse betreibt im besten Komintern-Stil Agitation und Propaganda gegen Skinhead-Terror, die Industrieverbände haben als neue Parole "Das Boot ist leer" ausgegeben und suchen händeringend nach indischen Softwarespezialisten. Staatlich verordneter Antifaschismus als Standortfaktor - das ist die Neue Deutsche Welle.

Zum Volkssturm der Gutmenschen werden auch die älteren Jahrgänge gezogen: Udo Lindenberg, Nena, Nina Hagen und andere Gruftis mobilisieren für "Rock gegen Rechts", und damit die Kids in den national befreiten Zonen auf der Bühne auch Identifikationsfiguren finden, gibt Ingo Appelt auf der Bühne den Einpeitscher. Polenwitze kommen gut, gerade im Osten. Der Kulturbetrieb läuft wie geschmiert - Organisation war schon immer die Stärke der Deutschen: Kein Volkshochschul- programm, kein Kirchentag, keine Selbsterfahrungsruppe und keine Grundschul- Projektwoche ohne ein "Nie wieder", ohne Toleranz- und Anti-Gewalt- Training. Achtung Abiturienten: Hier entsteht ein neuer Arbeitsmarkt, finanziert aus dem milliardenschweren Xenos-Programm. Das neue Deutschland braucht Euch, als Aufklärer und Entertainer gegen die rechte Gewalt. Auch Guido Knopp hat klein angefangen.

Von Flensburg bis Friedrichshafen geht der Herzogsche Ruck durch das Land, der Aufstand der Anständigen hat begonnen: Alle wollen "Gesicht zeigen", jedenfalls bei gutem Wetter. Dem Gerhard Schröder haben wir's geschworen, der Herta Däubler reichen wir die Hand - und wenn all das noch nichts nützt, wie in Brandenburg, kommandiert Otto Schily gar den Bundesgrenzschutz zur Nazi-Jagd. Die Skinheads sitzen verängstigt in den Kellern, die morschen Knochen zittern. Deutschland erwache - das hatten sie sich ein bißchen anders vorgestellt.

Die ganze Kampagne hat nur einen Schönheitsfehler: Der rot-grüne Antifaschismus hat zwar die Diskurshoheit erobert und hält den virtuellen Raum besetzt, aber in der schnöden Realität hat sich kaum etwas geändert. Jedenfalls nicht zum Besseren. Die Zahl rechtsextremer und fremdenfeindlicher Straftaten ist laut Bundeskriminal- amt bundesweit im Jahre 2000 im Vergleich zu 1999 um über 60 Prozent auf 2.333 gestiegen, ein trauriger Rekord. Besonders dramatisch war die Zunahme anti- semitischer Straftaten: Registrierten die Behörden im ersten Quartal 2000 bundesweit noch 140 Fälle, so waren es im vierten Quartal bereits 496 - ein Anstieg um 250 Prozent. Zwischen beiden Quartalen lag der Beginn der Antifa-Offensive des Schröder-Kabinetts.

Damit soll nicht behauptet werden, ein Mehr an Gegenwehr würde ein verstärktes Zuschlagen der Rechten provozieren. Ganz im Gegenteil. Vielmehr muß man die Frage stellen, ob die Sprechblasen der Regierung überhaupt etwas mit Widerstand gegen rechts zu tun haben - oder ob sie nicht vielmehr wie Psychopharmaka wirken, die auch noch den letzten Vernünftigen den Kopf vernebeln. Schily in the Sky with Diamonds - die Bundesrepublik auf dem Weg ins zivilgesellschaftliche Eiapopeia, in dem sich alle lieb haben.

Ein Beispiel: Im Januar wurde ein schwerer Brandanschlag auf das Totenhaus des Jüdischen Friedhofes in Potsdam verübt - der bis dato schlimmste Vorfall in einer immer dichteren Kette antisemitischer Straftaten in der brandenburgischen Hauptstadt und auf den übrigen etwa 60 Friedhöfen in diesem Bundesland. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kündigte zwar energisches Durchgreifen an - doch für die Öffentlichkeit klang das nicht besonders ernstgemeint, hatte derselbe Politiker doch einige Tage davor mit derselben Emphase vor einer Unterschätzung des Linksextremismus gewarnt. (Zum Vergleich: Die Behörden des Landes hatten 1999 insgesamt 275 Straftaten von Nazis und Skinheads registriert, 46 von Linksextremisten.) Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) wollte die Zwei- deutigkeiten seiner rechten Hand wohl korrigieren und trat bei einer Protestkundgebung der Jüdischen Gemeinde auf. "Fremdenfeindlichkeit ist Folge der Nazi-Zeit", zitierte die Presse anschließend aus seiner Rede. Was hat ein anti- semitischer Anschlag mit Fremdenfeindlichkeit zu tun? Sind Juden in Deutschland keine Staatsbürger, keine Einheimischen, sondern Fremde, Zugereiste, ewige Wanderer? Wieder einmal muß man konstatieren: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Stolpes Botschaft war dieselbe wie die eines Rostocker CDU- Politikers, der nach den Nazi-Krawallen in Lichtenhagen 1992 den protestierenden Ignatz Bubis mit den Worten empfing: "Ihre Heimat ist doch Israel."

Die gedankenlose Gleichsetzung von "Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt" (bisweilen wird noch der Rassismus hinzugefügt) ist aber nicht nur ein Schritt zur Ausbürgerung der Juden. Auch anderen Opfergruppen erweist man durch die Verwendung dieser Sprechblase keinen guten Dienst. Was ist etwa mit den Obdachlosen, die genausowenig wie die Juden Ausländer oder Fremde sind und unter denen der Terror der Rechten mit den höchsten Blutzoll gefordert hat? Asylbewerbern und anderen ausländischen Opfern deutscher Gewalt nützt es ebenso wenig, daß die Sonntagsredner die Hetze gegen sie in einem Atemzug mit der gegen Juden nennen. Die Gefahr für sie ist nämlich ganz anders gelagert - vielleicht nicht größer, aber allgegenwärtiger. Denn so sehr die Hardcore-Nazis von Vernichtungswünschen gegen die Juden getrieben werden - die dumpfe Masse der Mitläufer fahndet ganz simpel nach Menschen mit dunkler Hautfarbe. Diese müßten genauso energisch geschützt werden wie die Juden. Hinter den stereotypen Beschwörungen von "Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt" vollzieht sich also eine doppelte Abwertung der Bedrohten: Die jüdischen Deutschen werden per definitionem zu Fremden, wenn auch zu - bislang! - schutzwürdigen; die eigentlich Fremden aber, die Flüchtlinge etwa, sind vogelfrei. Gänzlich unhinterfragt bleibt, ob sich Rassismus und Antisemitismus überhaupt am Fremden entzünden - oder ob nicht vielmehr das verleugnete Eigene bekämpft werden soll, wie Horkheimer und Adorno analysierten. Der angebliche jüdische Geiz und die angebliche Geilheit der Schwarzen sollen ausgemerzt werden, weil man diese Veranlagungen bei sich selbst spürt und nicht eingestehen will. Jedenfalls: Ginge es um Xenophobie, so müßten sich Ossis und Wessis gegenseitig den Schädel einschlagen, denn niemand ist sich fremder in diesem Land, auch im Jahre elf der Einheit.

In erster Linie müßten aber nicht die Diskurse, sondern es müßte die Realität geändert werden. Was nützt die ritualisierte Betonung der Einzigartigkeit des Holocaust, wenn die Regierung schon ihren ersten Krieg als Nothilfe gegen einen angeblichen neuen Holocaust ausgibt? Was nützt die ganze Gedenkhuberei, wenn gleichzeitig die deutsche Industrie demonstriert, daß sich die damaligen Verbrechen durchaus gelohnt haben? Was nützt die Pflege des "Biotops mit toten Juden" (Eike Geisel), wenn die lebenden Juden als Fremde ausgestellt werden? Was nützt die Toleranz, wenn sie mit der Absage an Akzeptanz einhergeht - etwa mit der Absage an ein neues Staatsbürgerrecht? Was nützen die ganzen schönen Museen und Denkmäler, solange die Flüchtlinge in Lagern und die Obdachlosen unter Brücken hausen - wie auf dem Präsentierteller für die glatzköpfige SA?+

Noch eine kleine Korrektur: Das Zitat am Anfang lautet ein bißchen anders. Im Original heißt es: "Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich ohne Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt." Auch Schüssel und Haider wissen, was sich gehört.

Jürgen Elsässer ist Buchautor und Redakteur der Zeitschrift KONKRET (www.juergen-elsaesser.de).

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21.03.2001


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