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Bernd Wagner gilt als
herausragender Experte für die rechtsextremen Subkulturen der Neuen
Länder. Als Anerkennung für seine Arbeit erhielt er 1999 die
Theodor-Heuss-Medaille. Wagner beobachtete schon in der DDR die
Skinhead-Szene, heute leitet er das Zentrum Demokratische Kultur in
Berlin.
Sie warnen schon seit Jahren
vor rechtsradikalen Tendenzen, gerade in den Neuen Ländern. Erst jetzt
geben sich bei Ihnen die Journalisten die Klinke in die Hand. Kommt da
nicht etwas Bitterkeit auf?
Die Journalisten waren immer schon sehr eifrig bei der Beschreibung
der Problemlagen. Denen kann man am allerwenigsten vorwerfen. Das
Problem wurde eher im Bereich der politischen Eliten klein gedacht und
klein geredet. Jetzt, nach der Kette von dramatischen Ereignissen, wird
die Notwendigkeit darüber zu diskutieren erkannt. Man hat gemerkt, dass
es, wenn es so weiterläuft, ans Eingemachte gehen kann. Die Debatte über
rechtsextreme Gewalt ist aber leider nicht immer nur von Qualität
getragen.
Oder ist es im Gegenteil so,
dass die Berichterstattung Gewalt fördert, weil sie den Tätern
Öffentlichkeit garantiert?
Es gibt Fälle, in denen sich Gewalttäter in ihrem unsäglichen
„Glanz“ betrachten, den Medien durch Berichterstattung zu verbreiten
scheinen. Das ist aber nicht die Regel, wie der ahnungslose
Innenminister von Brandenburg meint. Deshalb kann und darf die
Aufklärung mit solchen Argumenten nicht verhindert werden. Im
Unbekannten liegt viel mehr negative Kraft.
Im Visier der Rechten:
antisemitische Sprüherei auf einem
PDS-Plakat mit Gregor Gysi
Wie und worüber, glauben Sie,
sollte diskutiert werden?
Im Mittelpunkt der Diskussion stehen deutlich die Fragen der Inneren
Sicherheit, eine Verstärkung der Repression. Man denkt in politischen
Kreisen sogar ernsthaft darüber nach, wie man den Rechtsstaat aus dem
Weg schafft. Das führt jetzt zum Aufschrei in fachberuflichen Kreisen,
ich erwähne nur den Deutschen Richterbund, der davor gewarnt hat, das
Grundgesetz auszuhebeln. Das sehe ich auch so. Rechtliche Instrumente
sind hinreichend da, da braucht man gar nichts zu erfinden. Was hingegen
völlig fehlt in der Diskussion der Parteien, ist die Frage: Wie kann man
Demokratiewerte revitalisieren? Was bedeuten Menschenrechte im Jahr
2000? Wie können wir die Entfremdung zwischen repräsentativer Demokratie
und Zivilgesellschaft überwinden? Doch statt diese Fragen in den
Mittelpunkt der Debatte zu rücken, werden Reklame-Akte propagiert und
wird die Repression in den Vordergrund gestellt.
Wenn Sie sagen, Repression ist
nicht das richtige Rezept gegen rechtsextreme Gewalt, sind Sie eher für
Bildung und Sozialarbeit?
Es geht darum, das gesamtgesellschaftliche Klima, das sehr stark von
völkisch-rassistischen Tendenzen durchzogen ist, zu ändern. In
konzertierter Aktion von Medien, Verbänden und Politik müsste ständig
über die Werteessentiale von Menschenrechten gesprochen werden.
Bildungs- und Sozialarbeit ist nur ein Teil davon – man hat ja jahrelang
versucht, mit akzeptierender Sozialarbeit etwas zu ändern. In der
Tendenz hat sich jedoch nichts geändert: Das war einfach zu klein.
»Das gesellschaftliche Klima ist
sehr stark von völkisch-rassistischen
Tendenzen durchzogen. «
Bernd Wagner
Muss nicht, bevor über
Menschenrechte geredet wird, konkret etwas passieren, um Gewalt gegen
Minderheiten zu verhindern?
Das ist unstrittig. Rechtsextreme Gewaltstraftaten müssen verhindert
werden, und gefährdete Räume, in denen so etwas passiert, muss die
Polizei in den Griff bekommen. Wichtig ist auch, Terrorabwehr zu
betreiben. Es gibt Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, dass Potenziale
rechten Terrorismus entstanden sind. Tendenziell aber werden diese
Aktivitäten der Behörden das gesamtgesellschaftliche Klima nicht ändern
können. So eine Kampagne wie Stolpes „Tolerantes Brandenburg“ geht in
die richtige Richtung.
Menschenrechte können aber nicht allein staatlich verordnet werden.
Demokratische und antirassistische Initiativen an der Basis, die es ja
gibt, denen es aber finanziell und moralisch zum Teil nicht gut geht,
müssen unterstützt werden. Derzeit werden Leute, die vor Ort die Finger
in die Wunde legen, oft als Nestbeschmutzer ausgegrenzt. Wenn ich von
Menschenrechten rede, meine ich Alltagskultur. Warum werden so genannte
Linke durch die Straßen gejagt? Warum hilft ihnen keiner? Warum scheuen
sich Unternehmen, an der Kampagne Noteingang, die Verfolgten offen
Schutz bieten soll, teilzunehmen? Solche Initiativen finanziell und
verbal zu unterstützen: Das meine ich mit Revitalisierung, überhaupt mit
Etablierung von Demokratiewerten.
Obwohl der Anschlag von
Düsseldorf im Westen stattfand, zeigen jetzt wieder alle mit dem Finger
auf den Osten. Ist das berechtigt?
Nein. Alle sollten sich erst mal selbst auf die Brust klopfen.
Spezifische Unterschiede zwischen den Bundesländern, auch zwischen Ost
und West, sind jedoch nicht zu verkennen. Im Osten ist die Zahl der
Gewalttaten höher, und sie werden öffentlich eher goutiert. Aber die
Problemlagen sind grundsätzlich überall gleich. Denn der
Rechtsextremismus unterliegt in den letzten zehn Jahren einem Prozess
der Normalisierung: Die Gewalt der Rechten wird von einer breiten
Gesellschaftsschicht zwar abgelehnt, aber ihre Anliegen werden
gutgeheißen. Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass mehr als 30
Prozent der Jugendlichen in den Neuen Ländern eine rechtsextreme
Orientierung haben. Das heißt nicht, dass das Neonazis sind. Aber sie
tragen völkisch-rassistische Einstellungen in sich. Für die Alten Länder
gibt es hierzu übrigens keine exakten Untersuchungen.
Haben Sie eine Erklärung
dafür, wie dieses Gedankengut in die Köpfe der Menschen kommt?
Es ist seit der Nazizeit nie aus den Köpfen verschwunden. Natürlich hat
sich in der DDR niemand getraut, offen völkisch-rassistische Reden zu
halten. Aber dieses Gedankengut war zum Beispiel in den Familien
präsent. Das ist ein deutsches Kontinuum, das sich durch aktuelle
Problemlagen immer wieder revitalisiert, insbesondere seit der
Wiedervereinigung: Die Globalisierung, die De-Industrialisierung des
Ostens mit ihren sozialpsychologischen Folgen, und Ängste vor der
europäischen Integration lassen die Menschen glauben, sie bräuchten ein
kollektives Konstrukt, das sie schützt. So findet eine rechtsextreme
Alltagsideologie ihren Platz in den Köpfen. Es wird auch keiner
automatisch von seiner Gesinnung abgebracht, wenn er einen Arbeitsplatz
bekommt. Ganz im Gegenteil sollte Arbeitsplatz- und
Lehrstellenbeschaffung an ethische Kriterien gebunden werden.
Jugendlichen sollte klar gemacht werden, dass sie, wenn sie sich
rassistisch gebärden, den Ausbildungsplatz gar nicht verdienen.
Führt das nicht zur weiteren
Isolierung dieser Jugendlichen?
Nein. Man sollte rechtsextreme Jugendliche immer ansprechen und zu
erreichen versuchen, nur muss dies auf eine modifizierte Weise
geschehen. Das geht nicht mit akzeptierender Animationspädagogik.
Stattdessen müssen Möglichkeiten erschlossen werden, im wahrsten Sinne
des Wortes demokratieorientierte Jugendarbeit zu etablieren, die echte
Wertalternativen anbietet. Werte, die sich im Alltag aus dem Theorem der
Menschenrechte, der Gleichheit aller Menschen entwickeln.
Das klingt sehr
wissenschaftlich...
Ich habe das in der Praxis gemacht, und ich weiß, dass so etwas auch
funktioniert. Nur zwei Beispiele: Wir haben über Jahre in Brandenburger
Kommunen Geschichtswerkstätten angeboten, auch für rechtsextrem
orientierte Jugendliche. Oder: In einem weiteren Projekt haben
ausländische und deutsche Jugendliche gemeinsam ein Haus gebaut. Bei der
Geschichtswerkstatt endete das so, dass natürlich etliche in der Szene
geblieben sind, aber es gab auch Aussteiger. Sinn haben die Projekte
gemacht, weil mal andere Inhalte angeboten wurden und die Gewalttäter
isoliert wurden. Wenn es nur eine hinreichende Zahl solcher Projekte
gäbe, wären sie auch langfristig gesehen erfolgreich. Und man kann auch
kurzfristig etwas tun.
Wenn sich zum Beispiel in
Neuruppin in einem Jugendclub, unter dem Deckmäntelchen der
Sozialarbeit, eine so genannte „national befreite Zone“ etabliert hat,
die als Organisationsraum der NPD funktioniert und über Jahre von der
Kommunalpolitik geduldet wird, die dann aber geschlossen wird, weil eine
konzertierte Aktion von Medien und Bündnissen Klarheit in der
Öffentlichkeit geschaffen hat, dann ist das erst mal gut. Das heißt
nicht, dass es einen Rechtsextremisten weniger gibt, aber es führt zu
neuen Konstellationen, mit denen man weiterarbeiten kann. Ich warne
allerdings vor übertriebener Hoffnung, dass rechtsextreme Tendenzen
unter Jugendlichen kurzfristig überwunden werden können. Das wird noch
sehr lange dauern.
Interview: Andreas Baum
Fotos: Maik Jespersen, Paul Glaser
haGalil onLine
28-08-2000
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