"Es kann auch arabische Nazis geben"
Der Publizist Rafael Seligmann über antisemitische Anschläge
auf Synagogen in Deutschland
taz: Es waren keine Rechtsradikalen, die
Molotowcocktails gegen die Synagoge in Düsseldorf geworfen haben. Die
mutmaßlichen Täter sind junge Antisemiten arabischer Abstammung. Wurde
in den vergangenen Wochen vorverurteilt, ohne die Fakten zu prüfen?
Rafael Seligmann: Ganz so ist es nicht. Wenn
jemand einen Anschlag auf eine Synagoge verübt, ist er in meinen Augen
ein Antisemit. Ob er arabisch ist oder deutsch, ist egal. Wenn einer
Hitlerbilder aufhebt und Hakenkreuze hineinmalt, ist er ein Nazi. Und es
kann auch arabische Nazis geben.
Ist der Schluss zulässig, dass sich Palästinenser
jetzt mit Neonazis verbrüdern?
Nein, es gibt jüdische Gangster; es gibt
palästinensische Gangster; es gibt deutsche Gangster. Wenn einer einen
Anschlag auf eine Synagoge verübt, versucht er, Juden Schaden zuzufügen.
Mir ist es einerlei, welcher Herkunft er ist - aber die Bedrohung für
jüdische Gemeinden in Europa ging bislang vorwiegend von
extremistischer, arabischer Seite aus.
Wundert es Sie, dass der Nahostkonflikt nach
Deutschland durchschlägt?
Wir können nicht viel dagegen tun. Aber wir haben in
Deutschland für Gesetz und Ordnung zu sorgen. Anschläge auf Gebäude und
Misshandlungen von Personen sind verboten. Deswegen bin ich froh über
die Diskussion um die Leitkultur, auch wenn dieser Begriff unglücklich
ist. Ich bin vorbehaltlos für eine Integration von Menschen, die bereit
sind, hier das Gesetz zu achten. Wenn einer Krieg führen will, hat er in
Deutschland nichts zu suchen. Egal, ob er Jude oder Palästinenser ist.
Fürchten Sie, dass sich nach diesem Anschlag in
Deutschland jüdische Friedensaktivisten von moderaten Palästinensern
abwenden?
Die Auseinandersetzung muss im Nahen Osten geführt
werden. Auch wenn der Generalvertreter der Palästinenser in Deutschland,
Abdalla Frangi, meint: Wenn Scharon auf den Tempelberg geht, ist das,
als ob ein Nazi mit einem Hakenkreuz in die Synagoge geht. Mit solchen
Sätzen kocht er Emotionen hoch.
In solchen Äußerungen erkennen Sie aber schon einen
Wirkungszusammenhang zwischen neonazistischen Sprüchen und
PLO-Propaganda?
In diesem Zusammenhang ist es schon bemerkenswert,
dass hier Frangi der Jungen Freiheit ein Interview gibt.
Auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin der
Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, ließ von dem
rechtsgewirkten Blatt befragen.
Frau Knobloch wollte mit diesen "jungen Leuten" reden,
um sie nicht einfach nach rechts abgleiten zu lassen. Das ist eine ganz
andere Motivation, als Herr Frangi sie hat. Er sucht Hilfe, wo er kann,
und ist da nicht wählerisch. Das ist kurzsichtig von ihm. Am Ende werden
Palästinenser und Israelis Frieden schließen müssen. Man kann sich zwar
gegenseitig umbringen, aber irgendwann lässt die Aufmerksamkeit der Welt
nach; lässt nach Jahrzehnten auch das Bedürfnis der Palästinenser und
Israelis nach, Krieg zu führen. Ich finde, die richtige Strategie von
Frangi müsste sein, beruhigend auf diesen Konflikt und die Emotionen in
Deutschland einzuwirken. Da bleibt er hinter Arafat doch zurück. Er hat
sich jetzt mit israelischen Eltern verwundeter Kinder getroffen. Der
Palästinenserpräsident und die israelische Regierung wissen, dass man
irgendwie zu einer Übereinkunft kommen muss.
Und in diesem Sinne halten Sie Anschläge auf
Synagogen in Deutschland für eine politische Äußerung von vorgestern?
Das ist so. Furchtbar ist, was übrig bleibt: dieser
Hass in den Herzen und in den Köpfen, in Palästina, in Israel und auch
hier.
ANNETTE ROGALLA
taz Nr. 6318 vom 9.12.2000, Seite 5, 122
Zeilen, Interview ANNETTE ROGALLA
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