DER RECHTE RAND Nr. 66 vom September / Oktober 2000, S. 5
"Neue Qualität des
Rechtsextremismus"
INTERVIEW mit Prof. Dr. Christoph Butterwegge, dem Leiter der Abteilung
für Politikwissenschaft am Seminar für Sozialwissenschaften der Universität zu
Köln
Das Gespräch für DER RECHTE RAND führte Samuel Salzborn
Der rechte Terror ist in aller Munde. Die Medien berichten über
Rechtsextremismus und Neofaschismus wie seit langem nicht mehr. Über die Gründe
für dieses Interesse, politische Verkürzungen in der Darstellung des
Rechtsextremismus und den Extremismus der Mitte sprach DER RECHTE RAND mit Prof.
Dr. Christoph Butterwegge, dem Leiter der Abteilung für Politikwissenschaft am
Seminar für Sozialwissenschaften der Universität zu Köln. Christoph Butterwegge
hat zuletzt unter anderem den Band "Medien und multikulturelle Gesellschaft"
(Opladen 1999) mitherausgegeben. In Kürze erscheinen von ihm als Mitherausgeber
die Bände "Rechtsextremismus als Thema im Unterricht" und "Flucht, Migration und
Zuwanderungspolitik im Zeichen der Globalisierung" (beide: Opladen 2000).
DER RECHTE RAND: Sie beschäftigen sich seit Jahren mit den
Themen Rechtsextremismus und Rassismus. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund
die gegenwärtige gesellschaftliche Reaktion auf den rechten Terror?
Christoph Butterwegge: In der Vergangenheit hat es
schon des öfteren solche Wellen öffentlicher Aufmerksamkeit für rechte Gewalt
gegeben. Bei der gegenwärtigen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit ist im
Vergleich dazu besonders auffällig, dass sie stark von den Medien artikuliert
wird und dass die Prominenz dabei eine sehr große Rolle spielt. Im Unterschied
dazu haben die Lichterketten im November 1992 nach dem Anschlag von Mölln einen
stummen Protest von Hunderttausenden dargestellt. So entsteht bei mir der
Eindruck, dass die Diskussion gegenwärtig eher von oben geführt wird und zudem
mit sehr oberflächlich angelegten Initiativen verbunden ist - seien das die
zahlreichen Bündnisse, die meist gar kein gesellschaftliches Fundament haben,
oder auch die politischen Forderungen, wie etwa die nach einem NPD-Verbot. Bei
diesen Initiativen hat man den Eindruck, sie seien eher als Freibrief dafür
gedacht, sonst nichts tun zu müssen. Somit hat die Diskussion auch nicht den
Tiefgang, den sie eigentlich haben sollte. Auf der anderen Seite verspreche ich
mir aber von ihr, dass sich Basisinitiativen möglicherweise anregen lassen,
etwas zu tun. Außerdem verspreche ich mir natürlich auch von der gegenwärtigen
Debatte, dass das Thema Rechtsextremismus im öffentlichen Diskurs bleibt und
schließlich auch inhaltlich mehr Substanz bekommt.
DRR: Gibt es vor dem Hintergrund zahlreicher rechter
Übergriffe, Anschläge und Morde nicht auch eine neue Qualität des rechten
Terrors? Oder wurde das nur durch die Medien gepuscht?
C. B.: In Bezug auf den rechten Terror würde ich
nicht von einer neuen Qualität sprechen. Es gab schon vor der Wende 1989/90
solche Mordanschläge, allerdings ohne dass es dafür öffentliche Aufmerksamkeit
gegeben hätte. Möglicherweise hat sich quantitativ seitdem eine gewisse
Veränderung ergeben. Doch die eher aktionistisch orientierten Vorschläge
basieren eher nicht auf einer Zunahme rechter Gewalt, sondern sind auf eine
öffentliche Aufmerksamkeit zurückzuführen, die anders begründet sein dürfte. Ich
denke, dass diese Diskussion auch die Funktion hatte, das Sommerloch zu füllen -
zwischen Kampfhunddiskussion und der Aufmerksamkeit für das russische U-Boot.
Andererseits wird es nach dieser Diskussion auch nicht wieder möglich sein, zu
behaupten, es gebe Rechtsextremismus, Rassismus und rechte Gewalt in der
Bundesrepublik nicht. Also ein Wegschauen wie bisher wird aufgrund der
gegenwärtigen Debatte zumindest schwieriger werden. Somit wird das Thema zwar
öffentlich geradezu theatralisch inszeniert, aber zugleich gelangt es auch in
den Fokus des allgemeinen Interesses und es besteht die Chance, das Thema
gesellschaftlich zu verankern.
DRR: Stichwort: der Fokus des allgemeine Interesses.
Es ist zwar in den Medien und von prominenter Seite viel zum rechten Terror
gesagt worden, aber auf der anderen Seite fast nichts zur gesellschaftlichen
Verankerung des Rechtsextremismus. Jüngere Studien gehen von zwischen zehn und
zwanzig Prozent rechtsextremer Grundhaltung in der bundesdeutschen Bevölkerung
aus.
C. B.: In der Tat ist es sehr auffällig, dass bei
öffentlichen Anlässen die Hemmschwelle massiv gesunken ist, um rassistische
Ideologeme unverhohlen zu äußern. Das, was man früher nur gedacht hat, wird
heute offen artikuliert. Und darin besteht meines Erachtens die neue Qualität
des Rechtsextremismus. Ohne dabei die rechten Terroranschläge verharmlosen zu
wollen, ist diese Veränderung im Massenbewusstsein längerfristig weitaus
gefährlicher. Die Veränderungen bedeuten, sich eher zu trauen, auch zu seinen
rechten Einstellungen öffentlich zu stehen, was wiederum die Gefahr einer
gesellschaftlichen Verfestigung rechtsextremen Gedankenguts heraufbeschwört.
DRR: Blendet die aktuelle Diskussion damit nicht
auch viel zu stark die intellektuelle Rechte aus?
C. B.: Das ist sicher eine Gefahr. Der
Rechtsextremismus wird als ein Problem mit einzelnen rechten Gruppierungen und
Parteien dargestellt, was die tiefer liegenden gesellschaftlichen Wurzeln
ausblendet. Die rechten Einstellungen sind vom Machtzentrum der Gesellschaft,
den Eliten, stark geprägt und werden zum Teil auch von dort vorgegeben. Damit
verbunden ist, dass der intellektuelle Teil der rechten Szene völlig aus dem
Blickfeld gerät, wie übrigens auch die parlamentarischen Vertreter des
Rechtsextremismus gegenwärtig überhaupt keine Rolle in der Diskussion spielen.
Nach dem Wahlerfolg der DVU 1998 in Sachsen-Anhalt war täglich von diesem
parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus die Rede. Jetzt steht nur die rechte
Gewalt im Vordergrund. Was sich in den Köpfen der Menschen abspielt, spielt
überhaupt keine Rolle. Der Rechtsextremismus erscheint als spektakuläre
Straßenaktion, und was im Machtzentrum der Gesellschaft geschieht, wie sich das
Bewusstsein seit einigen Jahren in eine solche Richtung verändert und dass
Themen heute in den Mainstream-Medien aufgegriffen werden, die vor zehn Jahren
von Neonazis und Rechtsextremen vorgedacht worden sind, kommt nicht in den
Blick. Ich denke beispielsweise an die "Zeit", die jüngst mit der Schlagzeile
"Kinder, Kinder!" aufmachte und verschiedene Erwägungen zur Steigerung der
Geburtenrate von Deutschen anstellte. Das gleiche Thema haben die Rechten unter
dem Titel "Das deutsche Volk stirbt aus" schon viel früher diskutiert.
DRR: Wo sollte antifaschistische Arbeit
gesellschaftlich ansetzen?
C. B.: Sie sollte sich sehr intensiv mit den
Ursachen des Rechtsextremismus beschäftigten. Es reicht nicht aus, nur die
Kontinuitäten vom Nationalsozialismus zur Gegenwart zu betrachten, die es
natürlich gibt. Sondern man sollte sich auch mit neuen Momenten beschäftigen,
die ich vor allem darin sehe, dass im Zuge weltwirtschaftlicher Veränderungen
und aufgrund der Hegemonie des Neoliberalismus ein gesellschaftliches Klima
entsteht, das für Gewalt sehr viel offener ist. Durch bestimmte Medienspektakel
wie "Big Brother", das "Inselduell" oder die Darstellung des Schlachtens von
Tieren auf fernen Inseln, das als "normales Überlebenstraining" im Fernsehen
gezeigt wird, wird Gewalt als gesellschaftliche Normalität dargestellt. Und
diese Momente der Verrohung und der Brutalisierung von Lebenszusammenhängen
schaffen für rechte Gewalt einen anderen, wahrscheinlich besseren Nährboden.
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