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Judentum und Israel
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Report Sonja:

nichts hören, nichts sehen, nichts sagen scheint hier die devise zu sein

Sonja lebt mit ihrem 15 Jahre alten Sohn Nils in einem kleinen Fünf-Häuserdorf in der Nähe von Greifswald. Ihre Tochter macht in Stralsund ein Freiwilliges Soziales Jahr als Theaterpädagogin bei der Diakonie, Nils geht auf die Hauptschule.

Sonja hat sich nach der Wende im Frauenbereich politisch engagiert, sich aber in den letzten Jahren zurückgezogen, da sie die Politik zunehmend als korrupt erlebte und das mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Seit einigen Jahren wohnt sie in einem Haus mit großem Garten, ihre Handvoll Nachbarn leben entweder schon immer hier und versuchen, sich mit einer Mischung aus Landwirtschaft und Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und ABM-Stellen über Wasser zu halten. Oder sie arbeiten in Greifswald oder Stralsund und sind zugezogen, da Häuser und Bauland hier so billig sind.

Die Geschichte: Vor ungefähr zwei Jahren wurde Nils von mehreren Neonazis direkt nach der Schule an der Bushaltestelle so schwer zusammengeschlagen, dass er ins Krankenhaus gebracht werden musste. Er wurde mit Stahlkappenstiefeln ins Gesicht und in den ganzen Körper getreten, bis er das Bewusstsein verlor. Dabei riefen die Neonazis: »Das ist für deine Schwester, die Zecke!« Seine Mitschüler und der Busfahrer schritten nicht ein, sondern sahen einfach zu. Zu der Zeit war Nils ein ganz normaler Junge ohne besondere Kleidungs- oder Stil-Vorlieben und ohne besondere politische Interessen.

Nach dem Krankenhausaufenthalt änderte sich seine Einstellung: er suchte den Kontakt zu Antifa-Gruppen und fing an, sich gegen Rechtsextremismus und Neonazis zu engagieren. Zu Sonja sagte er: »Das tat verdammt weh, aber die kriegen mich nicht klein.« Um das zu demonstrieren, hat er sich dann einen ›Iro‹ (Punk-Haarschnitt) geschnitten und seinen Kleidungsstil verändert. Er fing an Sachen zu tragen, die in den Kleidungscodes der Jugendlichen der linken Szene zugeordnet werden. Auch Sonja ließ den Vorfall nicht auf sich beruhen: Sie wandte sich an die Klassenlehrerin, den Schulleiter und die Polizei.

Was sie dort erlebte, beschreibt sie in einer Mischung aus Wut und Ironie – »als ein Gebräu aus Ignoranz, Angst und Dummheit: Die Polizei war nicht bereit, bei der Aufnahme des Vorfalls die Bezeichnung ›rechtsextreme‹ Jugendliche oder Neonazis zu benutzen, sondern ließ sich nur dazu bewegen, von ›kahl geschorenen Jugendlichen‹ zu sprechen.« Die Klassenlehrerin weigerte sich, irgendetwas zu unternehmen, da sie befürchtete, ihr könnten von den Neonazis die Reifen aufgestochen werden, »da mischt man sich besser nicht ein.« Als der Schulleiter nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen endlich Zeit für einen Termin fand, tat er den Vorfall als »normale Rangelei unter Jugendlichen« ab. 

Besonders wichtig war ihm dabei die Feststellung, dass es an seiner Schule keine Neonazis gebe. Folgerichtig lehnte er auch Sonjas Vorschläge ab, an der Schule Projekte gegen Rechtsradikalismus zu initiieren: »Kein Bedarf.« Sonja kann und will nicht verstehen, dass Menschen auf so eine Gewalttätigkeit – ein Jugendlicher wird brutal zusammengeschlagen – derart ignorant reagieren. »Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen und unter keinen Umständen etwas dagegen unternehmen scheint hier die Devise zu sein.« Für Nils wurde die Situation an der Schule immer unerträglicher. Beinahe täglich wurde er psychisch und physisch von Rechten angegriffen. Sie forderten ihn auf, seine Mutter dazu zu bringen, die Anzeige zurückzuziehen, »wenn nicht, würden sie ihr blaues Wunder erleben.«

Wenn er sich gegen die verbalen und körperlichen Attacken wehrte, musste nur er disziplinarische Maßnahmen der Schule über sich ergehen lassen. Seine Leistungen wurden immer schlechter und er hatte »keinen Bock mehr, zur Schule zu gehen.« Lange passierte dann gar nichts. Daraufhin ließ sich Sonja einen Termin bei einem Landtagsabgeordneten der PDS vermitteln. Der hakte über eine Anfrage beim zuständigen Ministerium nach, was denn nun in dieser Sache unternommen worden sei. Erst das brachte den Stein ins Rollen, es wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Es gingen zehn Monate ins Land, bis Sonja eine Vorladung von der Polizei erhielt, das Verfahren sollte nun abgeschlossen werden.

Als Sonja zu fragen wagte, warum es denn so lange gedauert habe, die Namen der Täter seien doch seit einem knappen Jahr bekannt, wurde ihr mitgeteilt, dass ihre Anfrage »in Schwerin für großen Ärger gesorgt habe und das nun wirklich nicht nötig gewesen sei. Man hätte anderes zu tun, als immer zu springen, wenn Schwerin schreit.« Sonja hat von offizieller Seite nie erfahren, wie das Verfahren ausgegangen ist. Kurz nach dem Urteil wurde Nils wiederum in der Schule so heftig zusammengeschlagen, dass er erneut ins Krankenhaus musste. Dieses mal nicht von der bekannten Neonazi-Clique, sondern von einem Jungen aus deren Umfeld, der eine Mutprobe zu bestehen hatte, um von ihnen anerkannt zu werden. Sonja wandte sich ein zweites Mal an den Schulleiter. Dieses Gespräch schildert sie mit großer Wut als eine vollständige Farce: An seiner Schule habe es nie Ärger gegeben, bis Nils aufgetaucht sei. Der habe durch sein Aussehen und Auftreten so provoziert, dass ihn selber die Schuld an seiner Situation treffe.

Außerdem habe er, der Schulleiter, die beteiligten Jugendlichen verhört und auch die hätten ihm gesagt, Nils habe angefangen. Mitschüler von Nils, die bei der Schlägerei dabei gewesen sind, haben Sonja bestätigt, dass es anders war, aber sie wollen aus Angst nichts sagen. Bei dem Gespräch des Direktors mit den Jugendlichen und Nils war auch Sonja anwesend. »Unter den Augen des Schulleiters kam es zu einem heftigen Wortwechsel zwischen mir und dem Jugendlichen, der Nils geschlagen hat. Nach dem dieser alles geleugnet hatte, rief ich wütend: Nur über meine Leiche könnt ihr euch noch mal an Nils vergreifen. Die Antwort war: Das kannste haben.«

Bald nach diesem Gespräch bekam sie nächtlichen Besuch: Eine Gruppe von Neonazis stand bei ihr im Garten, stieß wilde Drohungen und Pöbeleien aus und warf mit Steinen eine Fensterscheibe ein. Als sie auch diesen Vorfall zur Anzeige brachte, nahm die Polizei diesen nicht einmal mehr auf. Auf die Frage, wie sie sich denn schützen solle, wurde nur mit den Achseln gezuckt. Die Neonazis haben seitdem mehrmals vor oder auf dem Grundstück Terror verbreitet. »Ich hatte ganz schön Angst, aber ich bemühe mich, sie nicht zu zeigen« antwortet sie auf unser Nachfragen. Sonja hat sich ein Megaphon gekauft, eine Zwille unterm Bett deponiert und eine Telefonliste von Freunden und Freundinnen und örtlichen Antifa-Gruppen erstellt, die sie im Notfall zu Hilfe rufen kann. »Hilf dir selbst ist mein neues Motto. Schließlich waren diese Leute schneller da als die Polizei, obwohl die nur aus dem Nachbardorf anfahren musste.«

Auch für Nils hörte die Bedrohung an der Schule nicht auf. »Morgen klatschen wir dich auf«, wurde ihm eines Tages angekündigt. Sonja wollte daraufhin nicht, dass er am nächsten Tag zur Schule geht, aber er tat es trotzdem. Als er nicht mit dem Schulbus nach Hause kam, fuhr sie hoch besorgt los, um ihn zu suchen: Sie fand Nils bei einem Schulfreund, vier Autos mit Neonazis hatten vor der Schule auf ihn gewartet, aber er war durch den Hintereingang geflohen und hatte sich bei dem Freund versteckt. Am gleichen Tag meldete Sonja Nils von der Schule ab, da sie »dort nicht willens und in der Lage sind, sein Leben und seine Gesundheit zu schützen.« 

Nils erzählt: »Als Jugendlicher hier in der Gegend ist es schwierig, wenn man nicht zu den Rechten gehört oder sich offen gegen sie stellt. Es gibt nur zwei Discos in der Nähe, die eine wird sowieso nur von Rechten besucht und in die andere kann man nur gehen, weil die so einen guten Ordnerdienst hat, dass alle raus fliegen, die Stress machen. Es gibt zwar einen Jugendtreff im Dorf, aber der hat nur an zwei Tagen die Woche auf und dort arbeitet eine ABM-Beschäftigte, die vorher Melkerin war und selber Angst hat, wenn die Rechten Ärger machen. Die schließt nur den Laden auf und geht dann ins Hinterzimmer Kaffee trinken. Für uns Jugendliche gibt’s hier einfach nichts.« Sonja ist empört, dass es der Kommune zu teuer ist, für gute, qualifizierte Sozialarbeit Geld auszugeben. Es müssten gut ausgebildete Leute sein, die den Jugendlichen Angebote machen und vor allem dürften sie nicht vollkommen allein, ohne Kollegen und Team arbeiten müssen.

Auf die Frage, ob er nun Angst habe, da die Nazis ihn so aufs Korn genommen hätten, meinte Nils: »Am Anfang schon, aber jetzt habe ich einen Freund, vor dem alle noch mehr Angst haben. Der lässt sich von niemandem was sagen. Vor dem haben alle Respekt.« Sonja findet es unheimlich, dass Nils inzwischen, wenn er zusammengeschlagen wird, einfach aufsteht und weiter macht wie bisher. »Wenn jemand ständig hart gegen sich selber sein muss, bleiben die Gefühle auf der Strecke.« »Hier wehren sich so wenige Menschen gegen den Terror der Neonazis, weil viele der Leute in einer Mischung aus Resignation, eigenen Vorurteilen und selbst gewählter Dummheit verharren.

Auch viele der Erwachsenen teilen einige Überzeugungen der Nazis, besonders den Hass gegen Ausländer. Wenn hier einige darüber schimpfen, dass die Spätaussiedler so viel Sozial­hilfe bekommen, entgegne ich: Die lesen die Gesetzbücher und informieren sich über ihre Rechte. Das könntet ihr auch tun, dann würdet ihr genauso das bekommen, was euch zusteht, wie sie. Hört auf zu jammern. Das bringt dann böse Blicke.« (Die Namen der beteiligten Personen wurden von uns geändert)

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