Interpretationssache?
Integration von Flüchtlingen in
Mecklenburg-Vorpommern
»Politisches
Ziel der Landesregierung ist es, Ausländer in Mecklenburg-Vorpommern
besser zu integrieren.« (Innenminister Timm, Hamburger Abendblatt,
20.7.2001)
Ein Integrationsansatz sei in diesem Zusammenhang, die
Unterbringung von Asylbewerbern deutlich zu verbessern, so Timm Mitte
Juli 2001, als er eine Verordnung für Standards bei Asylbewerberheimen
vorstellt. »Asylbewerber hätten ›berechtigte Kritik‹ an der
›weltabgeschiedenen Lage‹ mancher Gemeinschaftsunterkünfte geübt.«
Was aber bedeutet das konkret?
Flüchtlinge sind oft fernab im Wald in leer stehenden
ehemaligen Militärobjekten, die auch so aussehen, untergebracht. Durch
diese oft isolierte Lage leben sie jenseits von Zug- und
Busverbindungen.
Um die Stadt Güstrow liegen weit außerhalb viele Heime in
ehemaligen Lehrlingswohnheimen oder LPG-Wirtschaftsgebäuden. Um
Asylsuchenden und AussiedlerInnen einen Beratungs- und Treffpunkt zu
bieten, wurde 1998 in Güstrow der Treffpunkt Grenzenlos gegründet. Kaum
erreichbar für Flüchtlinge, die außerhalb der Stadt untergebracht sind:
Ein irakischer Ingenieur beispielsweise, der mit seiner Familie in einem
dieser Heime untergebracht ist, macht sich mit seinen Kindern zu fast
jeder Veranstaltung von Grenzenlos auf: erst zu Fuß zehn Kilometer bis
zum Bahnhof und dann mit dem Zug. (Das Leben ist bunt, 2000)
Oft sind diese Flüchtlingsunterkünfte zusätzlich zu ihrer
abgeschiedenen Lage extrem heruntergekommen, wie die
Flüchtlingsunterkunft in Drüsewitz bei Bad Doberan.
Schon im fünften Bericht des Bürgerbeauftragten des
Landes Mecklenburg-Vorpommern für den Berichtszeitraum vom 1. Januar bis
31. Dezember 1999 wurde festgehalten:
»Der Bürgerbeauftragte bittet die Landesregierung, darauf
hinzuwirken, dass neue Gemeinschaftsunterkünfte nur noch in der Nähe
oder direkt in Städten oder Dörfern eingerichtet werden und dass die
Landkreise und kreisfreien Städte die richtliniengemäße dezentrale
Unterbringung von Asylbewerbern umsetzen.«
Timm will jetzt also zehn der schlimmsten Unterkünfte bis
2003 schließen, räumt aber ein, dass es in manchen Landkreisen schwierig
werden könnte, neue Standorte für Flüchtlingsheime zu finden, weil
einige Kommunen sich eventuell wehren würden. Doch Timm betont: »Eine
bessere Integration von Ausländern ist von der Koalition politisch
gewollt.«
Man muss sich nicht die geballten rechtsextremen und
rassistischen Ausschreitungen Anfang der 90er-Jahre in Erinnerung rufen,
um sich der Problematik der Akzeptanz von Flüchtlingen bei großen Teilen
der Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern bewusst zu werden. Anschläge
auf Asylbewerberheime fin-den nach wie vor statt, wie ein Beispiel von
März 2001 untermauert:
In der Nacht auf Samstag, den 17. März, wurde auf das
Asylbewerberheim im Pasewalker Gemeindewiesenweg ein Brandanschlag
verübt. Das Pasewalker Heim, das insgesamt 120 AsylbewerberInnen
aufnehmen soll, war zu dem Zeitpunkt von 40 Flüchtlingen bewohnt.
Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Der PDS-Kreisvorsitzende Gerd
Walther stellt diese »fremdenfeindliche, offensichtlich
rechtsextremistische Tat« in Zusammenhang mit Postwurfsendungen einer so
genannten Aktion Freies Deutschland, die in der Zeit vor der Tat an
Haushalte verteilt worden waren, und betont, der Anschlag gebe Anlass,
weiter an der Integration von Asylbewerbern und Ausländern zu arbeiten
(SVZ und Nordkurier, 19.3.2001).
Spätestens hier wird klar, dass der so vollmundige,
mittlerweile fast zum Modewort aufgestiegene Begriff Integration, wie
ihn auch Innenminister Timm hier benutzt, zur leeren Hülle zu werden
droht, denn das Beispiel macht nur allzu deutlich, dass eine zentralere
Lage wie hier in Pasewalk, d.h. das alleinige Hervorholen der
Flüchtlinge aus der Weltabgeschiedenheit noch lange nicht ausreicht, um
ihnen zumindest eine angstfreie Unterbringung zu gewährleisten.
Jenseits der dezentralen Unterbringung wird in einer
bereits 1999 vorliegenden Richtlinie, erarbeitet von einer vom
Innenministerium des Landes eingerichteten Arbeitsgruppe, außerdem Wert
darauf gelegt, »dass die Qualifizierung des Betreiberpersonales sowie
Mindestanforderungen der sozialen Betreuung festgeschrieben« werden
(Fünfter Bericht des Bürgerbeauftragten). Diese Forderungen sind völlig
berechtigt, hält man sich vor Augen, dass im bereits erwähnten Heim in
Drüsewitz hauptsächlich ehemalige Offiziere arbeiten (mit entsprechendem
Stil …) und viele Heime in Mecklenburg-Vorpommern von privaten
Sicherheitsdiensten nicht nur bewacht, sondern auch ›betreut‹ werden.
Aber der Bürgerbeauftragte berichtet auch von einem
positiven Fall: »Beispielhaft sollten die Erfahrungen und guten Ansätze
in der Betreuung von Asylbewerbern in der Hansestadt Rostock sein.«
Konsequenzen aus
Lichtenhagen
Deshalb haben wir uns in Rostock umgeschaut. In Rostock
ist viel passiert seit Lichtenhagen, wo im Herbst 1992 ein rassistischer
Mob drei Tage lang ein Wohnheim von vietnamesischen
VertragsarbeiterInnen belagerte. Das ›Lichtenhagentrauma‹ geht durch
alle Gesellschaftsschichten hindurch, vom ewigen Rechtfertigungsdruck
einiger RostockerInnen, die sich zu Unrecht in die rassistische Ecke
gedrückt fühlen, bis hin zu einer relativ hohen Sensibilität unter
anderen EinwohnerInnen und in der Stadtverwaltung. Mitte der 90er-Jahre
entschied sich die Stadt dazu, ihre Asylbewerberheime (sechs an der Zahl
im Jahre 2001) direkt im Zentrum oder zumindest zentrumsnah anzusiedeln,
und hat 1997 die Betreuung von zwei Heimen ausgeschrieben.
Bei dem Verein Ökohaus erschien vielen Mitgliedern eine
Bewerbung sinnvoll. Ökohaus hatte sich 1990 mit dem Ziel gegründet,
Werte wie Solidarität, Umweltbewusstsein, Basisdemokratie und
Verantwortung zu fördern und durch Projekte zu vermitteln und rückt
seither zunehmend Integrationsarbeit mit MigrantInnen in den Mittelpunkt
seiner Arbeit. Einige Mitglieder hatten jedoch Bedenken, mit der
Betreuung eines Flüchtlingsheimes Teil der unmenschlichen und
ungerechten Asylmaschinerie zu werden.
Ökohaus e.V. besitzt durch seine inhaltlichen
Schwerpunkte, durch sein Bildungsprojekt PAREA (Arbeitsstelle für
entwicklungspolitische Bildung) das thematische know how, hat
MitarbeiterInnen, die mit der Problematik vertraut sind, selber im
Ausland gelebt und gearbeitet haben und Fremdsprachen sprechen.
Letztendlich entschied sich daher der Verein für eine Bewerbung und
übernahm im November 1997 die Trägerschaft des Flüchtlingsheimes An der
Elisabethwiese. Gut drei Jahre später folgte am 1. Januar 2001 die
Trägerschaft des Flüchtlingheimes Satower Straße. Bewacht werden die
Häuser von einem privaten Wachdienst, aber alles andere, von der
Verwaltung der Häuser bis zur Betreuung der BewohnerInnen wird von
Ökohaus e.V. gemacht, und das mit Ökohaus-spezifischen Methoden und
Inhalten. Dabei setzt Ökohaus den Fokus auf drei Bereiche: erstens auf
die Flüchtlinge selbst, zweitens auf die Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen, drittens auf die Nachbarschaft beziehungsweise etwas
weiter gefasst, auf die ›alteingesessene‹ Bevölkerung.
1. Fokus Flüchtling
Ökohaus beschreibt in seinen Grundlagen, »wir wollen:
erstens das alltägliche Leben der Bewohner im Asylbewerberhaus und in
Rostock organisieren bzw. organisieren helfen und die Bewohner
unterstützen, dieses Leben unter den gegebenen Bedingungen
(Gemeinschaftsunterkunft) so erträglich wie möglich zu gestalten.
Zweitens, die Bewohner in ihren Asylverfahren und anderen
ausländerrechtlichen Fragen qualifiziert begleiten (Beratung,
Übersetzung, Erklären, Schriftverkehr, u.a. Korrespondenz) und drittens
das Rechts- und Systemverständnis der Bewohner ganz allgemein
motivieren, fördern und stärken und sie damit in die Lage versetzen,
ihre individuelle Situation und ihr neues gesellschaftliches Umfeld
einordnen und verstehen und in der Folge zunehmend selbständig handeln
zu können.«
Hartmut Gutsche von Ökohaus e.V., einer der sieben
Sozialarbeiter im Flüchtlingsheim Satower Straße, erläutert: »zu unseren
Aufgaben zählen auch konkrete Unterstützung bei Lösung von
Alltagsproblemen, mit den Kindern werden z.B. Hausaufgabenhilfen,
Sprachunterricht und Freizeit- und Ferienangebote realisiert. In unserer
Beratungs- und Betreuungsarbeit versuchen wir«, so Gutsche weiter,
»einen individuellen Ansatz zu verfolgen mit dem natürlich etwas
vollmundig klingenden Ansatz ›Hilfe zur Selbsthilfe‹, wir wollen jeden
einzelnen ermuntern und unterstützen, seine Perspektive selbst in die
Hand zu nehmen.« Die MitarbeiterInnen von Ökohaus unterstützen im
juristischen Dschungel und gehen zunehmend auch dazu über, die
Unterstützungsbereitschaft und Solidarität der HeimbewohnerInnen, zum
Beispiel Landsleuten gegenüber, zu fördern und darüber Hilfe zu
organisieren. »Einem ganz erheblichen Problem, dem der Traumatisierung
von Flüchtlingen, haben wir uns bisher zwar versucht zu nähern«, betont
Hartmut Gutsche, »aber zur wirklichen Hilfe und Linderung ist eine
fundierte Zusammenarbeit mit entsprechend geschulten TherapeutInnen
vonnöten.«
2. Fokus
MitarbeiterInnen
Noch mal aus den Grundlagen: »Die Umsetzung des [oben
ausgeführten] Anspruchs erfordert vom Beratungspersonal: Offenheit,
En-gagement, Fachwissen, Erfahrung, Sprach- und Kommunikationsfähigkeit,
Geduld und Konsequenz.«
»Hinzu kommt«, so Hartmut Gutsche, »dass alle
MitarbeiterInnen auch persönlich hoch motiviert sind, sonst könnten wir
unserem Anspruch gar nicht gerecht werden.« Außerdem wird auch darauf
geachtet MigrantInnen einzustellen: »In der Satower Straße arbeiten
beispielsweise zwei MigrantInnen im siebenköpfigen Team.«
Außerhalb der ganztägigen Sprechzeiten von
SozialarbeiterInnen unter der Woche hat immer eine Person telefonische
Bereitschaft für die BewohnerInnen der Flüchtlingsheime. Auch das
Wachpersonal wird in diese Ansprechbarkeit mit einbezogen und sorgt mit
für die Atmosphäre in den beiden Heimen.
3. Fokus alteingesessene
Bevölkerung
Die gegenseitige Achtung und Akzeptanz zwischen neuen und
alteingesessenen EinwohnerInnen einer Stadt sowie ein Klima der
Offenheit sind wichtige Voraussetzungen, um nicht nur äußerlich das
Leben von AsylbewerberInnen menschenwürdiger zu gestalten, sondern um
die so wichtige und mittlerweile ja auch von Politikerseite geforderte
Integration von MigrantInnen voranzutreiben. »Wir setzen genau an den
beiden Eckpunkten an, die bei dem großen Ziel Integration die
entscheidenden Rollen spielen: bei der einheimischen Bevölkerung und bei
den Flüchtlingen und das, so oft es geht, zusammen.«
Die alteingesessene Bevölkerung beginnt schon in der
Nachbarschaft der Flüchtlingsunterkünfte. Intensive Nachbarschafts- und
Stadtteilarbeit ist daher ein ganz wesentlicher Aufgabenbereich, den
Ökohaus wahrnimmt, sensibilisiert auch durch die Erfahrung bei Übernahme
der Flüchtlingsunterkunft an der Elisabethwiese. Vor dessen Bezug hatte
sich eine Bürgerinitiative gegründet, die die Unterbringung von
Flüchtlingen in ihrer Nachbarschaft verhindern wollte. Ökohaus setzte
sich mit den Vorbehalten auseinander, leistete Aufklärungsarbeit. Ein
regelmäßiger, bis heute tagender Arbeitskreis wurde ins Leben gerufen,
um Probleme und Sorgen rund um das Heim zu besprechen. Er setzt sich
zusammen aus MitarbeiterInnen von Ökohaus, VertreterInnen der bereits
erwähnten Bürgerinitiative und MitarbeiterInnen von Behörden, Vereinen,
Polizei sowie LehrerInnen von benachbarten Schulen. Neben diesen
regelmäßigen Treffen gibt es eine zusätzliche anlassbezogene
Kommunikationsform mit der Nachbarschaft: »Es gibt immer wieder
Misstrauen und größere oder kleinere Probleme, die zu Recht oder zu
Unrecht dem Asylbewerberhaus zugeschrieben werden. Und darüber muss
offen gesprochen werden. Eigentlich«, so Hartmut Gutsche, »möchten wir
so weit wie möglich das Haus offen halten, die Nachbarn sollen kommen.«
1999 hat Ökohaus e.V. ein Integrationsprojekt entwickelt,
das sich konkret an MigrantInnen wendet: IGEL – Gemeinschaft Erleben
Lernen. Dieses Gemeinwohlorientierte Arbeitsförderungsprojekt,
unterstützt vom Land Mecklenburg-Vorpommern, dem Arbeitsamt und der
Hansestadt Rostock, hat vielfältige Angebote: »Allgemeine – vor allem
soziale – Beratung, Hilfestellung im Umgang mit Behörden und
Dolmetschen; Deutschintensivkurse, muttersprachlichen Unterricht,
Hausaufgabenhilfe, individuelle Förderung, Freizeit- und
Ferienaktivitäten. Es richtet sich an alle Rostockerinnen und Rostocker,
die aus anderen Ländern zugewandert sind«, wie es in der
Selbstdarstellung steht. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind
zu einem großen Teil MigrantInnen. »Wichtig ist uns aber die Einsicht«,
resümiert Hartmut Gutsche, »dass außer bestimmten Aufklärungs- und
Integrationsbereichen, die nebeneinander ablaufen, vor allem auch
gemeinsame Projekte mit Deutschen und Nicht-Deutschen laufen müssen.«
Über das Bildungsprojekt PAREA führt Ökohaus unter anderem
Schulprojekttage mit verschiedenen Themenschwerpunkten durch: Migration,
Entwicklungspolitik und Asyl. Diese Projekttage finden dann in den
Asylbewerberheimen statt.
Außerdem werden gemeinsam mit Flüchtlingsheimen
Schülerbegegnungswochenenden organisiert. Die Gruppen bestehen zur
Hälfte aus in Deutschland
bzw. Rostock aufgewachsenen Jugendlichen und zur Hälfte aus
Migrantenjugendlichen etwa des gleichen Alters. Diese gemeinsamen
Wochenenden finden guten Anklang und werden besonders von LehrerInnen
unterstützt, zu denen bei den Schulprojekttagen schon Kontakt aufgebaut
wurde.
Hartmut Gutsche erläutert in diesem Zusammenhang, dass
»der unmittelbare Kontakt zu den Jugendlichen überaus sinnvoll ist, um
argumentativ etwas machen zu können. Immer wiederkehrende Behauptungen,
wie ›diese vielen Ausländer‹, sind gerade auch in Rostock einfach absurd
und müssten mal offen diskutiert werden. Der ein oder andere Schüler,
der in totaler Abwehrhaltung zu diesen Projekttagen erschienen ist, ist
irgendwie ›geknackt‹ worden.«
Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit ist bei Erwachsenen
natürlich ebenso wichtig. »Deshalb haben wir vor der Erstbelegung des
Asylbewerberhauses An der Elisabethwiese einen Tag der Offenen Tür
organisiert, um die Gerüchteköche, die behaupteten, bei dieser
Gemeinschaftsunterkunft handele es sich um ›sanierte Luxuswohnungen in
der Innenstadt‹, mit der Realität zu konfrontieren.«
Dass diese Aufklärungs- und Integrationsarbeit bitter
nötig ist, zeigt sich, wenn an Projekttagen Schulklassen in die
Asylbewerberheime kommen und in den Diskussionen immer wieder
rechtsextreme Auffassungen vertreten werden; oder wenn HeimbewohnerInnen
die weitgehend geschützten Räume von Flüchtlingsunterkünften und
Integrationsangeboten verlassen und sich auf die Straße wagen.
Die durchschnittliche Verweildauer von HeimbewohnerInnen
in Rostock liegt bei zwei Jahren, kann aber auch einige Jahre länger
sein. Die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ist gesetzlich
vorgegeben, Rostock ist da aber recht progressiv und ermöglicht leichter
als woanders die Unterbringung in Wohnungen (die Quote von
Wohnungsunterbringungen liegt in Rostock etwa bei einem Viertel bis
einem Drittel), eine Familie, die zwei Jahre in einem Heim wohnt,
beziehungsweise Alleinstehende, die drei Jahre dort wohnen, können einen
entsprechenden Antrag stellen.
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