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Judentum und Israel
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Wien 1938-1945:
Instanzen der Ohnmacht

Karl Pfeifer

Nein, nicht vom "willenlos gemachten österreichischen Volk" ist hier die Rede, sondern von der  Rolle der Israelitischen Kultusgemeinde und des "Judenrats" in diesen Jahren. Was der Historiker Doron Rabinovici hier brillant beschreibt, das geht unter die Haut: "Wer beim Aktenstudium sehen muß, mit welchem Arbeitseifer, mit welcher Schnelligkeit und Pedanterie im Wien des Jahres 1938 die antijüdischen Maßnahmen, Erlasse und Gesetze beschlossen und durchgeführt wurden, kann sich nur wundern, wenn von der sprichwörtlichen Schwammigkeit oder Langsamkeit der Wiener Bürokratie die Rede ist.

Das Verbrechen war ein gesellschaftliches Ereignis, dessen Fortschritte in den Zeitungen jubelnd vermeldet, dessen Erfolge in öffentlichen Raubzügen, in Prügelorgien, in Pogromen, wie etwa im November 1938, mit Morden, Brandlegungen und Vergewaltigungen gefeiert wurden."

Ohne Duldung und Rückhalt innerhalb der Bevölkerung wäre der Massenmord nicht möglich gewesen. Teil der Untat war es, die Opfer jeglicher Solidarität zu berauben. Sie sollten von allen verraten und ausgeliefert, dem Verbrechen vollständig ausgesetzt sein. Vor der physischen kam die soziale und psychische Vernichtung.

"Die nationalsozialistische "Judenpolitik" war nicht eine von außen, vom deutschen "Altreich" und gegen den Willen der Bevölkerung erzwungene Maßnahme. Übereifrig machten sich österreichische Antisemiten im Jahre 1938 ans Werk, pflichtvergessen trieben sie voran, was in Berlin noch unvorstellbar war."

Die jüdischen Opfer, von ihren "Mitbürgern" verfolgt oder im Stich gelassen, wurden in doppelter Hinsicht getäuscht. Sie befolgten die nationalsozialistischen Maßnahmen und richteten ihre Empörung gegen ihre eigene Vertretung.

Rabinovici beschreibt die Schuldgefühle der wenigen Überlebenden und folgert: "Die antisemitische Logik, wonach bloß ein toter Jude ein guter sein könnte, hat paradoxerweise das "Dritte Reich" überdauert".

Wilhelm Reisz wurde gezwungen "Gruppenführer" der jüdischen Ordner in Wien zu werden. Das österreichische Volksgericht befand Wilhelm Reisz für schuldig und verurteilte den Überlebenden zu fünfzehn Jahren Gefängnis, einschließlich eines Vierteljahres schweren Kerkers. Fünfzehn Jahre für einen Juden, der zuvor noch zum Tode verurteilt gewesen war, und dem Massenmord nur entging, weil er sich als "Gruppenführer" unentbehrlich für den aus Mödling stammenden SS-Scharführer Herbert Gerbin gemacht hatte, der nach 1945 verschwand und nie zur Verantwortung gezogen wurde.

"Dem Sachbearbeiter für jüdische Angelegenheiten der Gestapo in Wien, Johann Rixinger, dem "Judenreferenten", der während der Deportationen mit hoher Entscheidungsgewalt ausgestattet und am verwalteten Massenmord beteiligt gewesen war, wurden im Urteil zehn Jahre Haft zugedacht. Er mußte bloß sechseinhalb Jahre absitzen." Der berüchtigte brutale Blutordensträger und SS-Mann Ernst Girzik wurde wie der unter permanenter Morddrohung stehende Jude Wilhelm Reisz, ebenfalls zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Er wurde allerdings im Dezember 1953 vom österreichischen Bundespräsidenten amnestiert.

Natürlich betreibt Rabinovici keine Apologie der Juden, die mit den Nazi zusammengearbeitet haben, aber: "Die These von der pauschalen Schuld des gesamten deutschen oder österreichischen Kollektivs wird von keinem seriösen Autor aufgestellt. Nicht die Juden glaubten an die rassistische Vorstellung von der Verwerflichkeit einer gesamten Nation, vielmehr riefen die Nazi: "Der Jude ist an allem schuld."

Der Vorwurf, die Überlebenden hingen solchen kruden Thesen nach, ist nichts als Projektion; eine Geschichtsverdrehung, die den Verfolgten anlastet, was ihre Mörder taten. "Wer gegen die Theorie einer Kollektivschuld zu Felde zieht, bestreitet somit, was niemand behauptet. Zumeist geschieht das, um uns glauben zu machen, wo keine allgemeine Schuld herrsche, verbliebe nichts als kollektive Unschuld."

Erst nach dem Lesen des Buches versteht man, wie die österreichischen Juden, zu Opfern der "ersten Opfern" wurden und zum Teil auch nach 1945 blieben.

Doron Rabinovici:
Instanzen der Ohnmacht
Wien 1938-1945, Der Weg zum Judenrat

Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
Frankfurt am Main, 2000, ISBN 3-633-54162-4

 hagalil.com / 26-07-2002


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