"Ist
"Judenbengel" eine einklagbare Beschimpfung?"
Karl Pfeifer
Wer gewisse Gastkommentare der Wiener "Die Presse" liest bekommt einen tiefen
Einblick in die Seele der Konsumenten dieser Tageszeitung, die sich im Eigentum
des katholischen Pressevereines befindet. Wolfgang Georg Fischer, Ehrenpräsident
des Österreichischen Pen-Clubs weiß genau, was sich die Presse-Leser wünschen,
was ihnen fehlt und er liefert es: "Ist "Judenbengel" eine einklagbare
Beschimpfung?" (2.7.02) fragt er und beantwortet auch seine Frage. Wir erfahren
was das wichtigste Problem der Österreicher ist: "Darf heute ein jüdischer Witz
nur noch von einem Juden erzählt werden?"
Fischer Orginalton: "Seit ich nach dem Anschluß am 12. März 1938 im
Alter von fünf Jahren meinen ersten eigenen Kindervers über meine
nichtarische Herkunft machte: "Ich bin gemischter Rass' und bohr mir in
der Nas'", ist viel Blut geflossen und die Auschwitz-Morde von
Familienmitgliedern konnten sich weder der Fünfjährige noch die
Mitglieder meiner jüdischen als auch nichtjüdischen Familie vorstellen.
Die Unbekümmertheit ist mir und ihnen im Laufe der ostmärkischen und der
Emigrationsgeschichte vergangen, aber ich bemühe mich - oft mit Erfolg
-, mir das Lachen auch über jüdische Eigenschaften und Mängel nicht von
Hitler, Eichmanns Erben und der Rieder Aschermittwochsriege um Jörg
Haider vergraulen zu lassen."
Nicht alle Juden, die nur wie durch
ein Wunder das "Dritte Reich" überlebt haben, entwickelten den goldigen
Humor des Herrn Fischer. Wenn zum Beispiel Marcel Reich Ranicki, der das
Ghetto Warschau erlebt hat, in zwei Romanen wenn auch nur fiktiv
umgebracht wird, und man argumentiert das sei ja lediglich als Witz
gedacht, so ist das auch für die bürgerliche "Frankfurter Allgemeine
Zeitung" nicht mehr nachvollziehbar. Aber die Deutschen kommen bei
Fischer sowieso nicht gut weg.
Doch hören wir, was Herr Fischer über
seine Familie zu berichten hat: "Als ich in pubertärer Aufsässigkeit
einmal meinen "arischen" Onkel bis aufs Blut gereizt hatte und mich
dieser als "Judenbengel" bezeichnete, wandte ich mich weder an meine
jüdischen Verwandten in London und in New York um alliierten Schutz vor
urösterreichischer Antisemitismus-Tradition, noch trug ich meinem Onkel
die von ihm ausgesprochene Beschimpfung nach. Ich nahm es sportlich;
ähnlich wie ein allzu frommer Mitschüler, der von seinen Kameraden als
"Kerzlschlicker" verspottet wird; wie ein Bauernbundfunktionär, der nach
der Hitze des Gefechtes vom Gewerkschafter vielleicht als "Bauerndepp"
verunsichert wird; oder wie ein aufrechter Kommunist, dem man den
revolutionären Elan mit der Bezeichnung "Kummerl" zu nehmen versucht.
Mit einem Wort: ich nahm den "Judenbengel" wie einen Nasenstüber - nicht
mehr und nicht weniger."
Hier mit Verlaub besteht ein riesiger
Unterschied, denn Juden waren - unabhängig von ihrer politischen
Anschauung, ihrer sozialen Stellung, Alter und Geschlecht zum Tode
verurteilt. Die anderen nicht.
Wenn Fischer dann den "bundesdeutschen
hypokritischen und hysterischen Philosemitismus" beklagt, dann meint er,
in Österreich - in dem seit 1945 und bis heute der implizite und
manchmal auch der explizite Antisemitismus sowohl in Politik als auch in
Medien salonfähig ist, würde man es besser machen. Und er fordert damit
direkt auf, nur so weiter auf diesem Weg. Was macht es schon, wenn in
fast jeder Ausgabe der von der österreichischen Bundesregierung
subventionierten Wochenzeitung "Zur Zeit" antisemitische Karikaturen und
Texte erscheinen. Man hat das mit Humor zu ertragen. "Sind wir schon so
weit gekommen unter der Fuchtel der amerikanischen absoluten "political
and racial correctness", daß nur mehr Juden einen jüdischen Witz
erzählen dürfen, und auch das nur mit Vorbehalt?! "
Natürlich sind wir nicht so weit
gekommen. Man horche nur in manchem Wirtshaus zu, wenn Witze erzählt
werden über vergaste Juden und ähnliche Geschichten. Aber das ist nicht
alles, ein befreundeter ausländischer Diplomat aus einem nördlichen Land
erzählte mir, wie schockiert er war, als er in bester Wiener
Gesellschaft antisemitische Bemerkungen hören mußte. Und hier schließt
sich der Kreis, "Die Presse" ist das Leibblatt dieser besten Wiener
Gesellschaft.
hagalil.com / 04-07-2002 |