"Wenn jemand zu einem
sagte: Nimm fort den Splitter zwischen deinen Augen, so erwiderte ihm
dieser: Nimm fort den Balken zwischen deinen Augen." Rabbi Jochanan,
Baba Batra 15b, vergleiche Matthäus 7
Splitter und Balken
Von Karl Pfeifer
Seit mehr als einem Jahrzehnt erhält Uri Avnery in Deutschland aber auch in
Österreich Preise und Anerkennung. Er wird als aufrechter Menschenrechtskämpfer
stilisiert und ist ein gefragter Interviewpartner. Erst unlängst gab er der
einschlägig bekannten "Jungen Freiheit" und "Zur Zeit" (eine den
österreichischen Koalitionsparteien nahestehende Wiener Wochenzeitung, in der
antisemitische Texte und Karikaturen häufig erscheinen) ein Interview.
Vermutlich wird er behaupten, er hätte nichts von deren Hintergrund
gewußt, was ja auch stimmen könnte. Problematisch ist, dass fast
ausschließlich er als Sprachrohr der israelischen Friedensbewegung zu
Wort kommt, obwohl er den nur sehr marginalen, weil extremen Gush
Schalom vertritt.
Sicher gibt es in Israel, wie in allen Staaten der Welt viel zu kritisieren.
Problematisch wird es, wenn Linke in Deutschland - wo man Menschen wegen ihrer
Farbe auf der Straße totschlägt oder schwer verletzt - beziehungsweise in
Österreich - wo eine rechtsextreme Partei an der Regierung beteiligt ist - sich
auf Avnery und seinesgleichen berufend, über den Rassismus in Israel aufregen.
Wäre es nicht besser den Balken im eigenen Auge zu bemerken?
Denn es gibt hier wirklich viel braunen Dreck vor der eigenen Türe, den
man versäumt hat wegzukehren. Diese Arbeit wird den Deutschen und den
Österreichern niemand abnehmen, wie es auch Sache der Israelis ist, mit
den eigenen Fehlern ins Gericht zu gehen. Natürlich heißt das nicht,
dass man sich nicht auch mit Problemen außerhalb des eigenen Landes
befassen soll. Nur fällt dabei auf, dass man sich auf Israel einschießt
und dabei meistens nicht den gleichen Maßstab und die gleiche Tonlage
anwendet, die bei anderen Konflikten benützt werden.
Im Gegensatz zu Deutschland und Österreich, wo Selbstkritik immer wieder als
Selbsthaß angeprangert wird, und wo man doch endlich nach Auschwitz bestätigt
haben will, dass man daraus die nötigen Lehren gezogen hat, ist in Israel
Selbstkritik in den Medien an der Tagesordnung.
Die Israelis sind stolz darauf, dass man die eigene Regierung kritisieren kann
und die Palästinenser wiederum dürfen auch die israelische Regierung
kritisieren. Äußerst selten hört man jedoch in der palästinensischen
Gesellschaft ganz leise Kritik an der Führung. Doch im Israeli Avnery hat Arafat
einen Verbündeten, der als jüdischer Kronzeuge immer wieder die Schuldigen
lediglich im eigenen Land ortet.
Die in Wien erscheinende gesellschaftskritische Zeitschrift Context XXI
(contextXXI@mediaweb.at) veröffentlichte unlängst ein von Thomas Schmidinger
geführtes Interview mit Uri Avnery. Auf die Frage ob eine Friedensbewegung auch
auf der palästinensischen Seite wirke, antwortete Avnery u.a.: Die
Friedensbewegung auf der palästinensischen Seite ist geführt von Yassir Arafat.
Er ist die Friedensbewegung. Er hat den Frieden von Oslo unterzeichnet. Er hat
geschafft, daß die große Mehrheit des palästinensischen Volkes für eine
Friedenslösung mit zwei Staaten für zwei Völker ist...
In Berlin und Wien klingt das vielleicht glaubhaft, in Tel Aviv aber wie ein
zynischer Witz, denn wohl zeigt das israelische Fernsehen die
Friedensdemonstrationen im eigenen Land, doch bei den Nachbarn gibt es so etwas
nicht. Da werden israelische Fahnen verbrannt und gelegentlich sogar Kleinkinder
als Selbstmordattentäter kostümiert. In Avnery sehen die meisten Israeli keinen
Friedenskämpfer sondern nur Arafats Propagandisten. Lynchmorde an vermeintlichen
Kollaborateuren innerhalb der palästinensischen Gesellschaft rechtfertigt
Avnery: Natürlich gab es Morde an Kollaborateuren. Kollaborateure sind Verräter!
Die sind in ganz Europa umgebracht worden, von nicht allzulanger Zeit. Wer seine
Kameraden an eine feindliche Besatzung ausliefert ist ein Verräter und wird
umgebracht." Der Wiener Wochenzeitung "Falter" sagte Uri Avnery im April u.a.:
"Alle israelischen Medien stehen einstimmig hinter dieser rechtsradikalen
Regierung und plappern nach, was die Regierungs- und Armeesprecher ihnen
vorplappern. Es gibt überhaupt keine Opposition in den Medien." Der
oppositionelle Uri Avnery hat eine wöchentliche Kolumne in der Tageszeitung
"Maariv". Warum behauptet er wider besseres Wissens die Unwahrheit?
hagalil.com / 17-07-2002 |