Der Stern, die Berliner
Staatsanwaltschaft,
und der Antisemitismus:
"Taktvolle Ermittlungen"
Max Brym
Der Stern galt einst als
angesehene politische Wochenillustrierte. Bevor der Stern in der
Bundesrepublik an die Kioske kam, soll Herr Nannen seinen jungen
Redakteuren empfohlen haben: Mindestens vierzehn Tage lang alte Ausgaben
der " Arbeiter Illustrierten Zeitung" aus der Weimarer Republik zu
studieren, "damit sie lernen wie eine Illustrierte gemacht wird". Die
von dem führendem KPD Funktionär Willi Münzenberg herausgegebene AIZ
brachte erstmals die Fotomontage und das Stilmittel der Reportage auf
den deutschen Zeitungsmarkt. Der undogmatische Münzenberg sorgte für
seriöse Berichterstattung und gewann viele parteilose linke
Intellektuelle für das Projekt. Der ehrgeizige Nannen kopierte über
lange Jahre erfolgreich, die "Arbeiter Illustrierte Zeitung"
selbstverständlich mit anderen Inhalten. Der "Stern" hatte den Ruf,
seriös und linksliberal zu sein.
Auf die Schnauze flog der Stern vor einigen Jahrzehnten, als er die
"Hitlertagebücher" eines professionellen Fälschers publizierte. Nannen
trat ab und der Stern galt nicht mehr viel in diesem Land. Über Jahre
mied der Stern heiße politische Themen und versuchte mit Tier und
Boulevard- Geschichten die Auflage zu halten. Seit einiger Zeit strebt
die Stern Redaktion an, wieder ins politische Geschäft zu kommen. In der
Kampagne gegen Michel Friedman hat die Stern Redaktion offenbar den
Ehrgeiz, mit am lautesten den Antisemitismus in Deutschland zu bedienen.
Zudem entwickelt sich die Redaktion zu einem Sprachrohr der Berliner
Staatsanwaltschaft. Dabei schert sie sich einen Dreck um
demokratische Prinzipien, wie die Artikel zum "Fall Friedman" belegen.
Michel Friedman wird denunziert und die Beziehungen der Stern Redaktion
zu Teilen der Exekutive werden dazu benützt, die Jüdischen Gemeinden zu
diffamieren.
"Taktvolle Ermittlungen"
So bewertet der Stern in der Ausgabe vom 3.7.03 das Vorgehen der
Berliner Staatsanwaltschaft gegen Michel Friedman. Hart gehen die Stern-
Autoren, mit Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, und mit dem
Zeit- Herausgeber Michael Naumann ins Gericht. Besonders attackiert der
Stern, den Berliner Filmproduzenten Artur Brauner. Brauner sagte über
die Berliner Justiz, das seien "braun gefärbten Juristen". Das Blatt
weiß zu berichten dass Michael Naumann mit einer Anzeige seitens der
Berliner Staatsanwaltschaft zu rechnen hat, da er von "durchgeknallten
Staatsanwälten" redete. Der Stern beruft sich in seinem Artikel auf ein
internes Papier aus Berliner Justizkreisen, das die "taktvollen
Ermittlungen" gegen Michel Friedmann belegen soll. Wie taktvoll das in
Wirklichkeit war, belegt die Boulevardpresse und der Stern ganz
ausgezeichnet. Im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tod Jürgen
Möllemanns starteten die Berliner Staatsanwaltschaft die Aktion gegen
Michel Friedman. Die Öffentlichkeit erfuhr umgehend von den angeblichen
Schweinereien Friedmans.
Jeder Zeitungsständer sowie die Ausgaben des Sterns brüllten Koks und
Frauengeschichten ins Land. Meist wurden wüste Beschuldigungen und
Vorverurteilungen vorgenommen. Fast immer erschien Michel Friedman in
den zusammengeschusterten Geschichten als stellv. Vorsitzender des
Zentralrates der Juden in Deutschland. Die Unschuldsvermutung wurde
außer Kraft gesetzt. Die Vorlage für diese Kampagne lieferte die
Berliner Staatsanwaltschaft. Der Stern weiß in seiner Ausgabe vom 3.7
über die ,ach so zurückhaltende Staatsanwaltschaft, zu berichten: "Aber
irgend jemand muss doch geplaudert haben". Wer's glaubt wird selig. Der
Stern und die Stellen die ihn unterrichteten, versuchen mit diesem
Taschenspielertrick aus dem Fokus der Kritik zu geraten.
Die Information an die Presse, war keine Panne, genauso wie das interne
Papier, das dem Stern vorliegt, kein Zufall ist. Offensichtlich
beabsichtigen bestimmte staatliche Stellen mit gezielter Indiskretion
weiterhin das Feuer auf Michel Friedman zu richten. Obwohl die
Staatsanwaltschaft Berlin am 19.6 erklärte: "Nichts mehr zu sagen",
verfügt der Stern plötzlich über ein neues Dossier. Wer hier an Zufall
glaubt, glaubt auch, dass der Mond eine Kuh ist, einen Euter hat und
Milch gibt. Die Staatsanwaltschaft scheint jetzt völlig die Kontenance
zu verlieren und bedroht ihre Kritiker. Dabei wird und das darf
angenommen werden, auf willige Journalisten gesetzt. Die Stern Redaktion
machte eine ihrer Ausgaben mit einem unvorteilhaft abgelichteten Michel
Friedman unter dem Titel "Der Moralapostel" auf. Welches Gemüt damit
hierzulande bedient wird, ist klar. Aber der Stern geht in seiner
Ausgabe vom 3.7. noch weiter, offen wird der antisemitische Wahn
angenommen und die Jüdische Gemeinde in Berlin diffamiert.
Offener Antisemitismus
Das interne Papier verrät dem Stern folgendes:"Viele der längst in
Berlin lebenden Russen, meist jüdische Emigranten, hatten im Schutz der
jüdischen Gemeinde mit Ikonen, Rauschgift und Falschgeld Millionen
gescheffelt". Nach der Logik der Stern Redakteure "schützt" die jüdische
Gemeinde alle Arten von Kriminalität. Der bundesdeutsche Antisemit kann
sich zufrieden zurücklehnen, sein Weltbild wird durch solche abstrusen
Sätze voll bestätigt. Der Filmproduzent Brauner, der die
Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Staatsanwälte scharf kritisierte,
wird vom Stern als Immobilienbesitzer entlarvt. Er sei "wiederholt ins
Blickfeld der Staatsanwälte gekommen" ist zu lesen. Auch wird ihm
unbewiesen eine Verbindung mit den russisch- jüdischen Kriminellen
unterstellt. Nebenbei behauptet der Stern neuerlich, dass die
Staatsanwaltschaft zweifelsfrei Michel Friedman wegen Verstoßes gegen
das BTM ( Betäubungsmittelgesetz ) identifiziert habe.
Verfahren, Prozess, Unschuldsvermutung, all das scheint der
Stern-Redaktion egal zu sein. Hauptsache die Auflage steigt, selbst wenn
damit antisemitische Vorstellungen transportiert werden. Zudem hat die
Beziehungskiste mit der Staatsanwaltschaft den Vorteil, mit bestimmten
Stories gefüttert zu werden, was dem Verkauf nur dienlich sein kann.
Antidemokratischer Zeitgeist ist gefragt und wird gefüttert. Die
Geschichten können durchaus banal sein, wenn sie einen bestimmten Zweck
erfüllen. So hat der Stern zu berichten: "Der passionierte
Schachspieler, Staatsanwalt Cloidt, führte, weil sein Chef Fätkinheuer
an den entscheidenden Tagen nicht im Dienst war, die Ermittlungen gegen
Friedman". Nun, wer kann bei einem passionierten Schachspieler schon
böses vermuten. Der Kerl muss in Ordnung sein, soll der Leser denken.
Anders ist es bei Friedman, der jüdischen Gemeinde und sonstigen
"Kriminellen". Diese Sicht der Dinge will der Stern einem geneigten
Publikum vermitteln. Wenn der deutsche Jude Heinrich Heine noch leben
würde, könnte er Gefahr laufen in der gegebenen Presselandschaft
folgendes zu lesen: "Dieser Heine ist ein absolut talentloser Mensch,
dennoch hat er hunderte hervorragende Gedichte geschrieben, um die
Deutschen zu täuschen und hereinzulegen."
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06-07-03 |